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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

aus dem Überwachungsbezirk herauszukommen, um sich mit Hilfe moderner Verkehrsmittel dem Strafvollzug dauernd zu entziehen. An Orten mit modernen Verkehrseinrichtungen aber erleichtern Polizei und Dichtigkeit der Bevölkerung die Festnahme. Diese Aussicht wird wieder die Fluchtversuche beschränken.

V. Muss hiernach die erste der drei Fragen unbedingt verneint werden, so sind die beiden anderen Fragen gegenstandslos. Gleichwohl sollen sie eine ganz kurze Berücksichtigung erfahren, weil hierdurch die Gründe für die Verneinung der Hauptfrage Unterstützung finden. Die weit verbreitete Ansicht, dass von den deutschen Schutzgebieten nur eine Südseeinsel in Betracht komme, fusst teils auf den in den Südseeinseln vorhandenen günstigen klimatischen Verhältnissen, teils auf der Erwägung, dass eine insulare Lage die Fluchtgefahr erheblich vermindere. Könnte von diesem Standpunkt aus die Frage nach dem Vorhandensein eines geeigneten deutschen Schutzgebietes auch bejaht werden, so treffen doch, wie schon gezeigt und wie hinsichtlich der Strafzwecke ohne weiteres klar ist, alle grundsätzlichen Bedenken gegen Strafkolonien, auch im Falle der Wahl einer Insel zu. Die längste Erfahrung mit Ponape (1910) lehrt überdies, dass das Reich heute noch auf den Südseeinseln mit Aufständen rechnen muss. Auf welche Seite sich die deportierten Verbrecher bei einem Aufstande schlagen würden, ist leicht zu erraten. Aber schon die Möglichkeit einer Verstärkung von Aufständischen durch Deportierte müsste von der Verwirklichung der Deportationsgedankens abhalten. Wollte man um dieser Gefahr willen die zum Straforte bestimmte Insel zunächst von allen Eingeborenen säubern, indem man diese zur Auswanderung auf andere Inseln zwingt, so würde man voraussichtlich eine lange und ergiebig fliessende Quelle von Unruhen erschliessen. Auf einem menschenleeren Korallenriff endlich kann man die Strafkolonie gleichfalls nicht gründen.

Sollte an das Reich jemals die Versuchung herantreten, irgend ein Gebiet zu dem ausgesprochenen Zwecke der Gründung einer Strafkolonie zu erwerben, so wäre die Gelegenheit von der Hand zu weisen. Auf diesem Wege wäre höchstens das aus dem Wesen der Schutzgebiete entnommene rechtliche Bedenken zu beseitigen. Alle übrigen Bedenken dagegen würden bestehen bleiben, ja noch vermehrt werden, weil die Kosten des Erwerbes zu den sonstigen Kosten der Einrichtung einer Strafkolonie und der D. geschlagen das Anlagekapital so erhöhen würden, dass das Unternehmen von vornherein als unwirtschaftlich zu bezeichnen wäre. Das zur Gründung von Strafkolonien geeignete Land ist eine Utopie, ein Nirgendland in des Wortes schärfster Bedeutung.

Eine ganz andere Frage als die hier erörterte ist die Frage nach der Zweckmässigkeit der Deportation von schwarzen Verbrechern aus einer Kolonie in eine andere oder auch von einem Ort der Kolonie an einen entfernten anderen Ort der gleichen Kolonie.[1] Eine solche „Überführung“ soll sich bewährt haben; sie wird sich jedoch auch nur solange bewähren, als sie sich auf seltene Fälle beschränkt und keine Anhäufung von schwarzen Verbrechern verursacht.

VI. Der Kampf gegen das Verbrechertum ist ein Kampf mit zwei Fronten, gegen die heranwachsende verbrecherische Jugend auf der einen Seite, gegen das ausgewachsene gewerbs- und gewohnheitsmässige Verbrechertum auf der andern Seite. Ein erfolgreicher Kampf auf der ersten Seite wird für die Zukunft den Feind auf der anderen Seite von selbst schwächen und einen Erfolg auch nach dieser Richtung hin gewährleisten. Nicht umgekehrt. Sucht man sich durch die D. der gefährlichsten Verbrecherelemente zu entledigen, so besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man die dringendste Gefahr für beseitigt hält und Staat wie Gesellschaft infolgedessen den Kampf auf der andern Front nur lässig betreibt, also mittelbar den zweiten Feind verstärkt. Jedenfalls aber tut die D. den Anfängen des Verbrechertums nicht von selbst Abbruch.

Wenn die D. in früheren Zeiten als Notbehelf Vernunft war, so ist sie längst Unsinn geworden, denn sie war, ähnlich der Verurteilung zu einer in fremden Staaten zu erstehenden Galeerenstrafe, nur ein rohes Mittel, um den Mangel an System im Strafvollzug und an geeigneten Vollzugseinrichtungen zu verdecken.




  1. Herr Prof. Perels in Hamburg machte mich auf diesen Vorgang aufmerksam.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/277&oldid=- (Version vom 14.9.2022)