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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

v. Roon die Reorganisation des Heeres ausarbeiten, vermöge deren statt 40 000 Rekruten jährlich 63 000 eingestellt werden und die Landwehr in eine enge Verbindung mit der Linie und Reserve kommen sollte. Die älteren Jahrgänge konnten so dem Landsturm überwiesen werden, und das Heer wuchs trotzdem um ein paar hunderttausend Mann aus den kräftigsten Jahrgängen an. Es gibt keine Massregel, die gerechter und dabei wirksamer gewesen wäre. Die im preussischen Abgeordnetenhaus massgebenden Fraktionen, die Fortschrittspartei und das linke Zentrum, wollten die Kosten der Reorganisation, etwa 27 Mill. Mk. jährlich, aber nur bewilligen, wenn statt der dreijährigen Dienstzeit die zweijährige eingeführt werde. Davon wollten Wilhelm I., der seit 2. Januar 1861 seinem Bruder auf dem Thron nachgefolgt war, Roon und der Chef des Generalstabs v. Moltke nichts wissen, weil ihrer Ansicht nach die Schlagfertigkeit und Leistungskraft des Heeres durch eine nur zweijährige Ausbildungszeit nicht genügend verbürgt worden wäre. Das Ministerium der neuen Ära, das einen Konflikt mit dem Abgeordnetenhaus aus konstitutionellen Bedenken nicht auf sich nehmen wollte, ging darüber in die Brüche, und am 23. September berief der König auf Roons Rat den Botschafter in Paris, Otto v. Bismarck-Schönhausen (1815–1898) an die Spitze eines neuen Ministeriums. Dieser Staatsmann versuchte zunächst sich mit den Liberalen zu verständigen; als dies nicht gelang, hielt er trotzdem die Reorganisation aufrecht, obwohl das Abgeordnetenhaus die Mittel dazu verweigerte, und suchte durch Knebelung der Presse und Vereine, schliesslich 1866, auf Grund eines Beschlusses des Obertribunals, selbst durch gerichtliche Verfolgung von Parlamentsreden der oppositionellen Abgeordneten die Gegnerschaft zu erdrücken, welche die Bedürfnisse dieser zielbewussten deutschen Politik Preussens verkannte (Militärkonflikt 1862–66).

Die Unbeliebtheit, welche sich die preussische Regierung durch ihr vom Staatswohl gebotenes, aber rechtlich sehr anfechtbares Verhalten in Deutschland zuzog, erweckte in den Ratgebern des Kaisers Franz Joseph von Österreich 1863 die Hoffnung, Preussen dauernd in der Gunst der Nation zu überholen und die Lösung der deutschen Frage unter österreichischer Führung durch ein fünfköpfiges Direktorium und eine aus den Einzellandtagen „delegierte“ Volksvertretung herbeizuführen. Demgegenüber hielt Bismarck daran fest, dass die deutschen Staaten ausserhalb Österreichs sich unter Preussens Führung zu einem engeren Bunde mit einer direkt gewählten Nationalvertretung zusammenschliessen müssten; dieser Bund sollte dann mit Österreich durch ein weiteres Band zu gegenseitigem Schutz verbunden werden, bezw. verbunden bleiben. So standen sich das sog. grossdeutsche und das kleindeutsche, das österreichische und preussische Programm gegenüber; das erstere erlitt jetzt durch Preussens ablehnende Haltung eine völlige Niederlage, und der Plan Franz Josephs fiel in Wasser.

Unmittelbar darauf wurde am 15. November 1863 durch den Tod Friedrichs VII., des letzten Königs aus dem Mannesstamm des dänisch-oldenburgischen Herrscherhauses, die Verbindung zerschnitten, welche seit 1460 die Herzogtümer Schleswig-Holstein mit Dänemark umschloss, und Bismarck benutzte dies, um 1864 im Verein mit Österreich, dessen auswärtiger Minister Graf Rechberg aus verschiedenen Gründen auf den Versuch eines Zusammenhaltens mit Preussen einging, die Dänen durch die Erstürmung der Düppeler Schanzen (18. April) und der Insel Alsen (29. Juni) zur Aufgabe der Herzogtümer, welche sie widerrechtlich hatten festhalten wollen, zu zwingen (Wiener Friede vom 30. Oktober). Dänemark trat seine Rechte an die beiden Sieger ab, welche dann über der Frage, was nun mit den Herzogtümern geschehen solle, sich erneut entzweiten. Österreich kam schliesslich dahin, dass es den Wünschen des deutschen Bundestags und der übergrossen Mehrheit der Nation gemäss die Herzogtümer dem Erbprinzen Friedrich von Augustenburg übergeben wollte, dessen Anrechte in Deutschland allgemein als unanfechtbar angesehen wurden. Bismarck aber wollte die Herzogtümer mit Preussen vereinigen, weil ihm dadurch allein ihre dauernde Behauptung für Deutschland gesichert und die Ausnutzung ihrer wundervollen Lage an Nord- und Ostsee zur Gründung einer deutschen Flottenmacht möglich schien. Der drohende Krieg wurde noch einmal durch den Vertrag von Gastein (14. September 1865) beschworen, durch den Österreich die Verwaltung von Holstein, Preussen die von Schleswig übernahm; aber eine, dauernde Lösung war nicht erreicht, und 1866 brach der vertagte Kampf doch los. Dabei entschleierte Bismarck die letzten Ziele seiner Politik, indem er durch den Vorschlag vom 9. April

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/281&oldid=- (Version vom 14.9.2022)