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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

die Berufung einer aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen (gemäss der Reichsverfassung vom 28. März 1849) hervorgehenden Nationalvertretung forderte; mit ihr sollten die Regierungen die Grundzüge einer neuen deutschen Bundesverfassung vereinbaren. Aus der schleswig-holsteinischen Frage wuchs mit innerer Notwendigkeit die deutsche hervor; indem über das Schicksal der Herzogtümer zweckmässig entschieden werden sollte, musste über das der Nation selbst entschieden werden, deren bisherige Verfassung weder die innere Entwicklung noch die Sicherheit gegen aussen gewährleistete; die Verfügung über Schleswig-Holstein, welche Preussen anstrebte, sollte nicht dem alten Preussen zufallen, sondern einem neuen, dem Recht und Pflicht der Führung in Deutschland übertragen werden sollten. Die norddeutschen Staaten ausser Hannover, Kurhessen, Sachsen, Nassau, Meiningen und Frankfurt standen in dem Krieg von 1866 auf Preussens Seite, die genannten Staaten und der ganze Süden auf der Österreichs. Italien focht, um auch Venetien von Österreich zu gewinnen, als Preussens Bundesgenosse gegen eine Macht, die sowohl Deutschlands als Italiens nationale Ausgestaltung verhinderte. Durch den herrlichen Sieg von Königgrätz (3. Juli), den das preussische Heer unter König Wilhelm über Benedek erstritt, wurde Österreichs Macht zertrümmert, und der Vorfriede von Nikolsburg (26. Juli), den der endgültige Friede von Prag (23. August) bestätigte, zwang Österreich, darein zu willigen, dass es selbst aus dem deutschen Bunde austrat, dass Preussen mit den Staaten nördlich vom Main den norddeutschen Bund abschloss (während es den Staaten südlich vom Main freigestellt war, einen durch ein nationales Band mit dem Norden zu vereinigenden süddeutschen Bund zu schliessen) und dass Hannover, Kurhessen, Nassau, die freie Stadt Frankfurt a. M. und Schleswig-Holstein in Preussen einverleibt wurden, das dadurch auf etwa 348 000 qkm mit 24 Millionen Seelen anwuchs. Die Versuche Napoleons III., für Frankreich eine Vergrösserung durch Rheinhessen und die bayrische Rheinpfalz herauszuschlagen, scheiterten an der bestimmten Weigerung Wilhelms I., auch nur ein Dorf von Deutschland preiszugeben. Der Militärkonflikt wurde dadurch beigelegt, dass die Regierung bei dem neu gewählten Abgeordnetenhaus um Indemnität für die ohne parlamentarische Genehmigung geleisteten Ausgaben nachsuchte und am 3. September sie erhielt. Da die Fortschrittspartei unversöhnlich blieb, löste sich von ihr eine Anzahl von Abgeordneten ab und bildete die nationalliberale Partei. Ebenso riefen die gemässigten Konservativen im Herbst 1866 die freikonservative Partei ins Leben (seit 1871 im Reichstag „Reichspartei“ genannt). Die beiden neuen Parteien standen einander innerlich nahe; sie sahen ihre Hauptaufgabe darin, Bismarck bei der Herstellung des nationalen Staates zu unterstützen und standen in scharfem Gegensatz zum Ultramontanismus und Partikularismus.

Nun wurde durch Bismarck der Entwurf einer norddeutschen Bundesverfassung festgestellt, durch den Preussen das Präsidium dieses Bundes, seine Vertretung nach aussen, die diplomatische und militärische Leitung erhielt, und ein nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählter verfassunggebender Reichstag gab diesem Entwurf am 16. April 1867 seine Zustimmung. Der norddeutsche Bund entwickelte sich von 1866–70 auf liberaler Grundlage (Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Reform des Strafrechts) und blieb mit den Südstaaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen wirtschaftlich durch das Band des Zollvereins verbunden, dessen Gesetzgebung mit einem gesamtdeutschen Zollparlament (1868–70) vereinbart wurde. Ausserdem waren der Norden und der Süden infolge der französischen Absichten auf süddeutsches Gebiet seit August 1866 durch militärische Schutz- und Trutzverträge für den Krieg unter Preussens Oberbefehl vereinigt: das erste Mal in unserer Geschichte, dass eine straffe und zuverlässige Zusammenfassung unserer ganzen Wehrkraft statthatte. Zunächst geheim, wurden die Verträge im März 1867 bekannt gegeben und mit dadurch Napoleons Versuch vereitelt, das Grossherzogtum Luxemburg seinem Herrscher, König Wilhelm III. von Holland abzukaufen. Infolge der Verträge führten die Süddeutschen auch die allgemeine Wehrpflicht ein, und mehr und mehr verwuchs die deutsche Nation militärisch wie wirtschaftlich zu einem Ganzen.

Die politische Einheit stand noch aus; auch sie aber wurde rascher, als Bismarck selbst erwartete, durch das Verhalten Frankreichs herbeigeführt. Die öffentliche Stimmung Frankreichs sah in den preussischen Siegen französische Niederlagen, in dem Aufkommen eines geeinigten Deutschlands das Ende der französischen Führerschaft in Europa. Es war der Geist Ludwigs XIV.,

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/282&oldid=- (Version vom 14.9.2022)