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Krieges (1877–78) und seiner Folgen, trotz der auf dem Berliner Kongress vom Juni und Juli 1878 erzielten Neuordnung der Balkanhalbinsel, zusammenbrach und Russland eine drohende Haltung gegen seine zwei Nachbarn einnahm, schloss Bismarck am 7. Oktober 1879 mit Österreich ein zeitlich unbegrenztes Bündnis zur Abwehr eines russischen Angriffs. Dieser Zweibund ward am 20. Mai 1882, da Italien 1881 von Frankreich durch die Besitznahme von Tunis schwer herausgefordert worden war, durch den Beitritt Italiens zum Dreibund erweitert, der 1887 auf fünf, 1891 und 1902 auf zwölf Jahre erneuert wurde und den Teilnehmern ihren gesamten Besitz verbürgte. Er überstand auch die Balkankrisis von 1909, in der Österreich sich die 1878 besetzten türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina endgültig einverleibte, was in Italien wegen der Frage der Vorherrschaft in der Adria nicht gern gesehen wurde, und er ward infolge der Balkanwirren von 1912–13, durch welche die Türkei auf Adrianopel zurückgeworfen wurde und die Gefahr des Entstehens einer slawischen Macht an der Adria nahe rückte, im Dezember 1912 zum vierten Mal haltbarer als je abgeschlossen. Dem Dreibund stellte sich seit 1891 der Zweibund Russlands und Frankreichs und seit 1904 und 1907 die triple entente von Russland, Frankreich und England entgegen. Die Beziehungen Deutschlands zu Russland sind gleichwohl nie in vollen Gegensatz ausgeartet; 1887–90 bestand der Rückversicherungsvertrag, durch den beide Staaten sich im Falle des Krieges mit einer dritten Macht wohlwollende Neutralität verhiessen, und am 4. November 1910 verpflichteten sich beide in Potsdam, nichts zu unternehmen, was eine aggressive Spitze gegen den andern Teil hätte. Unser Verhältnis zu England dagegen ward durch die Entwicklung unserer Handels- und Kriegsflotte (1898 und 1900 erstes und zweites Flottengesetz) und durch die Parteinahme der öffentlichen Meinung für die Buren 1899–1902 ein gespanntes, und 1911 drohte anlässlich des Streites über Marokko ein militärisches Zusammengehen Englands mit Frankreich gegen Deutschland. Der Zusammenstoss ward aber durch den Vertrag vom 4. November 1911 vermieden, vermöge dessen Deutschland Frankreichs Schutzherrschaft über Marokko anerkannte und Frankreich die wirtschaftliche Gleichberechtigung Deutschlands in Marokko zugestand; auch trat es von seiner Kongokolonie ein 275 000 qkm grosses an Kamerun grenzendes Stück an Deutschland ab. Die Balkanwirren von 1912 hatten ein Zusammengehen Deutschlands und Englands zur Folge, und daraus erwuchs 1914 ein Abkommen über die beiderseitigen Interessen in Afrika und Vorderasien.





97. Abschnitt.


Deutschlands wirtschaftliche Expansion und überseeische Bestrebungen.
Von
Dr. Albrecht Wirth,
Privatdozent an der Technischen Hochschule München.

Noch im Jahre 1700 bedeutete Russland nicht viel. Es besass kaum zehn Millionen Einwohner und war an Macht geringer, als Schweden, Preussen oder die Türkei. Und nur zwanzig Jahre später reckte es sich schon zur Weltmacht auf, dachte an Erwerbungen auf Hawaii, Madagaskar und in Californien, und stand vor der Einverleibung südkaspischer Länder, Gilans und Mazenderans. Ähnlich war Deutschland noch 1864 ein bunter Haufe zusammengewürfelter Staaten, und 1884 war es zur Weltmacht erwachsen, die in Afrika und Neuguinea Fuss zu fassen suchte.


Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/284&oldid=- (Version vom 14.9.2022)