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Mark. Von den Rohstoffen ist am wichtigsten die Baumwolle. Deutschland braucht alljährlich für 500 bis 600 Millionen Mark Rohbaumwolle, und ist, wie alle anderen Länder ausser dem Zarenreiche, in seinem Bezuge von den Vereinigten Staaten abhängig, wo der Preis der Baumwolle durch fortwährende Manipulationen und Börsenspekulationen bestimmt wird, und wilden Schwankungen unterliegt. In zweiter Linie kommen Faserngewächse, Sisalhanf und Kautschuk, in dritter Kakao und Kaffee. Es hat jedoch sehr lange gedauert, bis nach sehr häufigen und verlustbringenden Fehlschlägen unsere Plantagenwirtschaft auch nur einigermassen auf eine gesunde Grundlage geriet. Besonders machten sich Schädlinge unangenehm bemerkbar, während der anfangs störende Arbeitermangel jetzt so ziemlich behoben ist. Auch die Methode, die vor reichlich zehn Jahren erdacht wurde, nur die Einheimischen pflanzen zu lassen, und ihnen dann ihre Erzeugnisse abzunehmen, also lediglich Handelskontore statt Plantagen zu errichten, hat sich nicht als allein seligmachend erwiesen. Denn unter den Händen der Schwarzen entarteten sehr rasch die Gewächse, und das Erzeugnis wurde minderwertig. Von bergbaulichen Betrieben ist vor allem die Kupfermine von Otavi zu erwähnen, die Gewinnung von Diamanten im Südwesten des Südwestafrikanischen Schutzgebietes, die in ihrem besten Jahre 24 Millionen Mark abwarf, und die Kohlenförderung in Schantung.

In unserer Kolonialgeschichte lassen sich vier Perioden unterscheiden. Zuerst die Landnahme, die 1890 und 1893 für Afrika so ziemlich abgeschlossen wurde. Sodann ein Zeitalter bureaukratischer Versumpfung, bis 1904. Drittens die grossen Aufstände, die bis 1907 reichen. Endlich der Aufschwung unseres Kolonialwesens unter dem Zustrom von Kapitalien und Einwanderern, seit 1907. Eine bedeutsame, wirtschaftspolitisch interessante und viel angefochtene Rolle haben bei der Kolonisierung die grossen Erwerbsgesellschaften gespielt. Über ihre Tätigkeit in Südwest schrieb das Beste der ehemalige Gouverneur von Südwest, Leutwein, in der Hamburger „Zeitschrift“ 1911. In Kamerun war der Hauptschlag der Freibriefgesellschaften (die sich an das Muster der englischen Chartered Companies anlehnten), die Südkamerun-Konzession, an deren Lancierung an der Brüsseler Börse der Hamburger Rechtsanwalt Scharlach, Sholto Douglas und der Herzog von Ujest beteiligt waren. Vielfach kreuzen sich in solchen Gesellschaften widerstreitende nationale Bestrebungen. Fremde, besonders Engländer und Belgier, sitzen im Aufsichtsrate deutscher Kolonialgesellschaften und umgekehrt sind Deutsche an benachbarten fremdländischen Unternehmungen beteiligt. Von solch gemischter Art wird auch die Fusion sein, die sich in Neukamerun, dem durch Vertrag vom 3. November 1911 (bestätigt in Paris März 1912) gewonnenen Stücke am Sanga und Kongo, Büschen den alten französischen und hinzutretenden deutschen Interessenten anbahnt.

Eine Besitzung für sich, die auch nicht dem Kolonial-, sondern dem Marineamt untersteht, ist Kiautschou. Sie ist nicht für ewige Zeiten dem deutschen Reiche angegliedert, sonder für 99 Jahre von China gepachtet, und es ist in der Tat auch mehr als fraglich, ob 1996 die Pachtung erneuert wird. Nicht minder beansprucht Kiautschou dadurch eine Sonderstellung, dass es weder Pflanzungs-, noch Siedlungs-, sondern lediglich Handels- und Bergbaukolonie ist, und ausserdem seiner strategischen Stellung halber von einzigartiger Wichtigkeit ist. Dagegen haben weder Neuguinea, noch der Marschallsarchipel, noch die Mariannen und Karolinen, wo man zeitweilig von der Anlegung eines Kriegshafens sprach, sonderliche Bedeutung erlangt. Das einzige Guthaben von Belang wird durch die grossartigen Phosphatlager unserer Südseeinseln dargestellt, daneben könnte die Ausfuhr der aus Kokosnüssen gewonnenen Kopra Erwähnung verdienen. Etwas wichtiger ist die Samoagruppe, die jedoch durch die Abtretung des besten Hafens an Amerika erklecklich verlor. Der Hafen Pago Pago auf der Insel Tutuila, wurde auf Grund von Verträgen von 1872 und 1878 durch die Ver. Staaten 1898 besetzt und durch Vertrag vom 14. Nov. 1899, angenommen von der Union Februar 1900, endgiltig der Union überlassen, die dadurch, sowie durch die Mariannen-Insel Guam, seit 1898 amerikanisch, Gebietsnachbarin des deutschen Südseereiches ist.

Aus diesem kurzen Überblicke geht hervor, dass unsere gesamte Kolonialwirtschaft nur einen kleinen Bruchteil von der erdumspannenden Expansionstätigkeit Deutschlands darstellt. Unserem Handel mit unseren Kolonien in einer Höhe von 140 Millionen Mark (nur 78 Millionen Mark noch 1909) steht ein überseeischer Gesamtverkehr Deutschlands von fast zehn Milliarden entgegen. Weit mehr als ein Drittel davon geht auf die Rechnung Englands und Nordamerikas. Ferner haben wir einen beträchtlichen Umschlag mit Südamerika, beiläufig anderthalbe Milliarde Mark im Jahr

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/286&oldid=- (Version vom 9.12.2021)