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und mit Ostasien. Unsere Beziehungen zu Australien und Westasien werden immer reger. Als Beispiel kann Persien dienen, Deutschland steht dort zwar erst an fünfter Stelle, mit 6,4 Millionen Mark, aber das bezeichnende ist das überaus schnelle Wachstum seiner Interessen. Setzen wir den Handel der einzelnen Länder mit Persien gleich 1 für das Jahr 1901/02, so betrug die Steigerung bis zum Jahre 1910/11 für Russland 4, England 1,5. die Türkei 1,8. Frankreich und Österreich je 0,8 und für Deutschland 6,2. Wir kamen so vom 8. auf den 5. Platz. Ähnlich hat sich unser Verkehr mit der Türkei (auf 105 Millionen Mark), und sogar mit Marokko (an 24 Millionen M.) gehoben. Der deutsche Handel steht in Marokko an erster Stelle. Dazu kommt der stattliche Landverkehr über unsere europäischen Grenzen mit Frankreich, Russland, Österreich usw. Der deutsche Gesamthandel beläuft sich jetzt auf 19 Milliarden, oder 5/7 von dem britischen (27 Milliarden), dessen Umfang bald zu erreichen er die allerbeste Aussicht hat.

Der Handel ist nur eine Art der Expansion. Andere Formen sind Schiffahrt und Bankengründung; endlich Beherrschung durch die Industrie. In der Reederei stehen wir zwar noch hinter England, viel weiter entfernt, als im Handelsumsatz; aber die Hapag und der Lloyd sind die individuell mächtigsten Schiffahrtsgesellschaften der Welt. Wir haben es sogar so weit gebracht, dass in dem so überaus leistungsfähigen Nordamerika und seinem atlantischen Verkehre die deutsche Reederei unvergleichlich wichtiger ist, als die einheimische. Alle Länder der Erde rechnen mit der deutschen Schiffahrt. Auch hier freilich, wie bei den Kolonialgesellschaften, fehlte es nicht an internationalen Fusionen. Solcher Art war Pierpont Morgans Oceantrust, der sich auf das atlantische Meer bezog.

Jünger ist die deutsche Bankeninvasion. Sie stammt erst aus den 90er Jahren; nur in Neu York und an ostasiatischen Plätzen waren schon früher belangreiche deutsche Bankgründungen erfolgt. Wir nennen die Orientbank, die Palästinabank, die deutsch-asiatische Bank, die südamerikanische Bank, die deutsch-brasilische Bank und für Russland Delbrück, Schickler und Co. und Mendelssohn.

Jede grosse deutsche Bank hat eine ganze Reihe von überseeischen Töchtern, die der Mutter meist reichlichen Gewinn abwerfen. Nicht selten ist die Gründung verschleiert, insofern deutsches Geld einen Teil oder die grössere Hälfte eines fremdländischen Bankunternehmens erworben hat, wie bei der Banca d’Italia und bei so manchen russischen Gründungen. In vielen Fällen, so namentlich in Neu York und London, wie bei Edgar Speyer, Kuhn u. Löb, Wernher, Nachod, Kühn u. Co., Beit u. Co., kann es fraglich erscheinen, ob sie als reichsdeutsche oder fremde Unternehmungen anzusprechen sind; richtiger wird sein, sie als amerikanische und englische zu bezeichnen, wenn auch der Zusammenhang mit der Heimat sehr rege geblieben ist. Weiterhin gibt es eine ganze Zahl von mehr oder weniger bedeutenden Privatbanken in Südamerika, Marokko, Italien, und anderen Ländern, die rein oder fast rein reichsdeutschen Charakter tragen. Soweit ist nun zwar die Macht des deutschen Geldes noch nicht gediehen, dass es, wie englisches und französisches, ganze fremde Staaten in seiner Gewalt hätte; immerhin fällt der Berliner Markt bei vielen Anleihen fremder Staaten stark im Gewicht. Russland denkt an keine Neu-Emission, ohne mit Mendelssohn vorher in Fühlung zu treten. Die skandinavischen Staaten sind stark von dem Wohlwollen der Berliner Börse abhängig. Mehrere chinesische Anleihen wurden durch die deutsch-asiatische Bank und die Hongkong and Shanghei Banking Co. gemeinsam übernommen. Die Türkei fand Freunde in unserer Hochfinanz. Venezuela könnte jetzt nicht ohne die Diskontogesellschaft vorgehen, und Mexiko rechnet mit den Börsen von Frankfurt und Berlin. Wir liehen bedeutende Summen in Persien, Griechenland, Portugal und Argentinien.

Ausserdem arbeitet deutsches Geld in fremden Eisenbahnen, Bergwerken und Fabriken.

Schon in den 1860er Jahren hätten vielleicht die Nordstaaten der Union ohne die Hilfe des deutschen Geldmarktes finanziell nicht bestehen können, namentlich Frankfurt hat den Yankees erkleckliche Summen geliehen. Die Northern Pacific, viele russische Linien, die anatolische und die Bagdadbahn wurden zu einem grossen Teile mit deutschem Gelde finanziert. Unser Kapital arbeitet in den Brauereien von St. Louis und Milwaukee, in chinesischen Reedereien, in marokkonischen Fabriken und Gütern, in argentinischer Landwirtschaft, in den Minen des Witwaterrandes.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/287&oldid=- (Version vom 9.12.2021)