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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

I.

Die Sonn- und Festtagsruhe ist, wie die Geschichte aller Kulturvölker beweist, ein allgemeines Menschheitsbedürfnis. Für die Arbeiter ist sie, zumal bei der Länge des Arbeitstages und der häufigen Über- und Nachtarbeit, zunächst zum Zwecke des notwendigen Kräfteersatzes, dann aber auch um der berechtigten Interessen und Bestrebungen willen geboten, die ausserhalb seiner Berufsarbeit liegen, also der rein menschlichen: so die religiösen, staatsbürgerlichen, familiären, geselligen, sportlichen, Bildungsbestrebungen usw. Denn die Arbeit ist stets nur Mittel zum Zweck, der Mensch aber Selbstzweck. Er kann daher beanspruchen, dass er nicht in ihr aufzugehen braucht. Nach gleicher Richtung geht aber auch das Interesse des Arbeitgebers an leistungsfähigen und intelligenten Arbeitskräften und ebenso das Interesse der deutschen Industrie, angesichts des immer schärferen und schwierigeren Wettbewerbs auf den Weltmärkten durch überlegene Leistungen zu siegen. Dies zumal da unsere Volkswirtschaft die enorm gewachsene Bevölkerung nur auf der verbreiterten Grundlage einer ausgedehnten Exportindustrie zu ernähren vermag. Anderseits bestehen berechtigte Bedürfnisse des Lebens, auch auf Seiten der Arbeiter selbst, die auch und vielfach sogar gerade an Sonn- und Festtagen Befriedigung durch gewerbliche Arbeit heischen (Verkehrs-, Erholungs-, Nahrungsmittelgewerbe, Darbietungen der Erbauung, Bildung usw.). Ferner kommen in Betracht die Gewerbe mit kontinuierlichem Feuer oder sonst nicht unterbrechbarem Betriebe, die Kampagne- und Saisonindustrien, die besonderen Bedürfnisse zu Festzeiten, in Kur- und Badeorten und ähnliche Verhältnisse. Die G.O. bestimmt daher zwar, dass Arbeiter zu Arbeiten an solchen Tagen nicht verpflichtet werden können, und verbietet allgemein die Sonn- und Festtagsarbeit für Fabrik- und fabrikmässige Betriebe, lässt aber reichliche Ausnahmen sowohl für Gewerbe wie für einzelne Betriebe zu, über die teils der Bundesrat, teils die zentralen, höheren oder unteren Verwaltungsbehörden zu befinden haben. Sie selbst gestattet allgemeine Notarbeiten bei Betriebsstörungen sowie die laufenden Arbeiten der Bewachung, Reinigung, Instandhaltung usw. Anderseits dürfen die Landesgesetze die Sonn- und Festtagsarbeit noch mehr einschränken und kann das Verbot der Beschäftigung von Arbeitern an solchen Tagen durch Kaiserl. Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats noch weiter ausgedehnt werden.

Die Zeugnisse, die der Arbeiter beim Ausscheiden aus der Arbeit fordern darf, dürfen keine ihn kennzeichnenden Merkmale enthalten.

Das Truckverbot (truck-Tausch) schliesst den alteingewurzelten Missbrauch aus, die Arbeiter statt in Bargeld in Sachen unter Anrechnung über deren wahren Wert zu bezahlen. Sie müssen in Bargeld bezahlt werden; Waren dürfen ihnen nicht kreditiert werden. Zuwiderhandlungen ziehen Strafe und Nichtigkeit der Hingabe an Zahlungsstatt wie des sie zulassenden Vertrages nach sich. Das Gegebene verfällt zu Gunsten von Arbeiterunterstützungskassen. Forderungen für kreditierte Waren können in keiner Weise geltend gemacht werden. Nichtig sind auch Verabredungen über die Entnahme von Arbeiterbedürfnissen aus gewissen Stellen und über Verwendung des Arbeitsverdienstes zu anderen Zwecken als zu Arbeiter- und Wohlfahrtseinrichtungen. Lohnzahlungen in Schankstätten sind verboten. Damit das Truckverbot aber nicht Wohlfahrtseinrichtungen trifft, sind Zuwendungen gewisser Naturalien und Leistungen ohne Gewinnabsicht und nur zum Selbstkosten- oder ortsüblichen Preise in Anrechnung auf den Lohn zugelassen, ebenso die Verabfolgung von Stoffen und Werkzeugen für Akkordarbeiten. Verwandte Bestimmungen sind die, welche den Akkordarbeitern die richtige Ermittlung des von ihnen geschaffenen, für die Lohnbestimmung massgebenden Arbeitsquantums sichern sollen. Dahin gehört namentlich das Verbot des „Wagennullens“ in den preussischen Bergwerken. „Ungenügend oder vorschriftswidrig beladene Fördergefässe müssen insoweit angerechnet werden, als ihr Inhalt vorschriftsmässig ist.“ Geldstrafen dafür sind nur in Form beschränkter Lohnabzüge zulässig. Von den Arbeitern aus ihrer Mitte gewählte Vertrauensmänner überwachen das Kontrollverfahren.

Im Interesse jederzeitiger Klarheit der Arbeiter über Leistung und Gegenleistung darf der Bundesrat für bestimmte Gewerbe Lohnbücher oder Arbeitszettel von gewisser gesetzlicher Form vorschreiben, was für die Kleider- und Wäschekonfektion geschehen ist.

Die Pflicht der Unternehmer, alle Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, die nach Beschaffenheit des Betriebes und der Werkstätte zum Schutz für Leben und Gesundheit

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/29&oldid=- (Version vom 5.11.2021)