Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/296

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Elemente immer die nächsten Stammesgenossen und Landsleute gemeinsam dienen und ein alle Staatsbürger umfassendes gleichartiges Heer von hoher Kultur entsteht.

Die Armee ist nach Moltkes wahrem Wort die vornehmste aller Institutionen in jedem Lande, denn sie ermöglicht das Bestehen aller bürgerlichen Einrichtungen, alle politische und bürgerliche Freiheit, alle Schöpfungen der Kultur, die Finanzen stehen und fallen mit dem Heer. Dass ferner das Deutsche Reich mächtig im Rate der Völker dasteht und für die Interessen des Deutschtums überall da, wo sie bedroht werden, eintreten kann, ist vor allem seiner starken Armee zu verdanken.

Das Heer ist zugleich die wichtigste Schule für das ganze Deutsche Volk, bildet und erzieht vor allem das höchste Pflichtideal des Menschen, den Charakter, und zwar des grössten und besten Teils der erwachsenen männlichen Jugend. Sie wird dadurch zum tätigen Ausdruck für alle Tugenden, Gemüts- und Verstandeskräfte des Bürgers, den sie mit staatlichem und kriegerischen Geist erfüllt.

Alle bei der heute in allen Grossmachtheeren ziemlich gleichen Ausbildung, Rüstung und inneren Fertigkeit, zumal bei schwieriger offensiver Kriegsführung, den Ausschlag gebenden geistigen und ethischen Kräfte werden entwickelt und dadurch das Volksaufgebot erst zum nationalen Heer befähigt. Der ideale Beruf des vorzugsweise dem Vaterlande dienenden Kriegers ist für jeden Staatsbürger eine Auszeichnung, des „Königs Rock“ sein Ehrenkleid. Jeder Deutsche ist ein geborener Verteidiger seines Landes, der dann in der Heeresschule durch eine die Dienstfreudigkeit mehr als der Drill fördernde Erziehung zur Waffenführung ausgebildet werden soll.

Neben diesen moralischen Potenzen und der Zahlenstärke wird es vor allem eine hervorragende Führung sein, die dem mit allen intellektuellen und materiellen Mitteln des Staats geschaffenen Deutschen Volksheere, dieser gewaltigsten Offenbarung der inneren und äusseren Macht unseres Landes, die Ueberlegenheit über seine Gegner zu geben vermag. Daher ist auch die Heranbildung verantwortungsfreudiger, wagemutiger, urteilsfähiger und selbsttätiger Führer, besonders für die Schlachten schlagende, daher kriegerisch gewandteste Feldarmee, eine Hauptgabe unseres Heeres. Es erzieht sein Offizierkorps selbst, d. h. einen eigenen homogenen Stand dem obersten Kriegsherrn in gegenseitiger Treue ergebener wirklicher Berufssoldaten mit höchsten Pflichten und daher auch besonderen Vorrechten, zugleich so reicher militärischer Erfahrung, dass er von der Neuheit der Erscheinungen des Krieges nicht überrascht werden kann.[1] Diese bleibenden Träger der besten Überlieferung und des Fortschritts mit ihrem esprit de corps, ihrem auf gründliches Wissen aufgebauten militärischen Können, ihrer aus der Kriegsgeschichte wie der eigenen Praxis geschöpften Kriegstechnik im umfassendsten Sinne des Worts bilden das Rückgrat der Armee und den festen Kitt zwischen den natürlichen Kräften der nur kurze Zeit dienenden, im Gegensatz zu den alten Berufsheeren zwar weniger erfahrenen, aber aus Unkenntnis der Kriegsgefahren sich umso tapferer für eine heilige Sache schlagenden Mannschaften des Volksheeres. Das Offizierkorps ist der Kern und Kristallisationspunkt aller kriegerischen Tugenden, in ihm steckt der Geist der Armee, es sichert dem Volksheere die Vorzüge des Berufsheeres ohne dessen Nachteile. Verantwortungsfreudig setzt es in allen Lagen, auch den aussergewöhnlichsten, seine ganze Persönlichkeit ein und wird daher schon im Frieden zu einem Lehrer und dem militärischen Erzieher der ganzen Nation, ein hohen sittlichen Ernst, vollste Hingabe und Liebe zur Sache erfordernder wahrhaft „adliger“ Beruf. Den Vorgesetzten gegenüber kennt es nur schweigenden Gehorsam, und die zersetzende Politik bleibt seinen Reihen fern. Im Kriege aber, wo heute schon jeder Unterführer in den Vordergrund treten kann, ist der Offizier der Führer des Volks in Waffen, dessen kriegerische Erfolge von der Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit des Offizierkorps zunächst abhängen. Besonders hohe Charaktereigenschaften und eine auf der Höhe der Zeit stehende allgemeine


  1. Darf man den Grossen Kurfürsten als den Begründer des stehenden Heeres bei uns bezeichnen, so ist König Friedrich Wilhelm I. der Gründer des Preussischen Offizierkorps, das er auf die Grundlage des peinlichsten Ehrbegriffs stellte, und das zum Vorbild für die Offizierkorps Europas allmählich geworden ist. „Den deutschen Offizier macht uns niemand nach“ (Bismarck).
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/296&oldid=- (Version vom 10.12.2021)