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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Einschränkung der sonst geltenden Befugnisse des Bundesfeldherrn (Artikel 5, Ziffer III des Versailler Bundesvertrages vom 23. XI. 70). Daher ist die Verpflichtung zum unbedingten Gehorsam gegen den Kaiser im Kriege für die bayerischen Soldaten in den sonst nur ihrem Könige geschworenen Fahneneid aufgenommen worden. Auch hat der Kaiser schon im Frieden im Einvernehmen mit dem König das Besichtigungsrecht auszuüben, ebenso im Wege besonderer Vereinbarung mit Bayern über die Anlage neuer Festungen zu bestimmen, nachdem bereits Ulm auf beiden Donauufern einen einheitlichen Waffenplatz unter Kommando und Verwaltung der Reichsorgane bildet. Mit der Einrichtung des Reichsmilitärgerichts endlich ist eine neue Einschränkung der Bayerischen Militärfreiheit eingetreten.

Alle Vereinbarungen mit Bayern und Württemberg sind Bestandteile der Reichsverfassung (Abschnitt XI), und ihre Abänderung oder Aufhebung ist nur mit Zustimmung aller Beteiligten möglich (Artikel 78). Nur bei den übrigen Militärkonventionen ist die rechtliche Bedeutung zweifelhaft. Besonders die der Württembergischen ähnliche Konvention mit Sachsen vom 7. II. 67 hat keine besondere Anerkennung durch die Reichsverfassung erhalten, und die übrigen Konventionen sind lediglich Staatsverträge, durch die die Ausübung der ihnen im Rahmen der Reichsverfassung und ferneren Reichsgesetzgebung verbleibenden Militärhoheit auf den Preussischen Kontingentsherrn mehr oder minder übertragen wird. Hierfür haben sie eine Zusicherung der Selbstbeschränkung des Kaisers in Ausübung seiner verfassungsmässigen Befugnisse, besonders hinsichtlich des Besatzungs-(Dislokations-)rechts erhalten.

Aber ausschlaggebend ist, dass die Einheitlichkeit des Reichsrechts und der Militärgesetzgebung, die Gleichheitlichkeit aller militärischen Einrichtungen, besonders die übereinstimmende Organisation, Gliederung, Kommando, Ausrüstung und Bewaffnung sowie Ausbildung der einzelnen Armeen, die gleichartigen Gebührnisse und Pensionen, weiter die Gemeinschaftlichkeit der Feststellung der für den Schutz des Reiches wie die Belastung des Volks so wichtigen Friedenspräsenzstärke und der Militäretats, der Kosten und Lasten für alle Bundesstaaten – wenn auch wieder Bayern innerhalb der in einer Summe im Reichsetat ausgeworfenen Quote seine Spezialetats selbst aufstellt und ihre Verausgabung der Genehmigung des Bayerischen Kontingentsherrn unterliegt –, ferner der tiefgehende Einfluss des Reichs auf die Handhabung der Militärverwaltung und endlich die ziemlich weitgehenden Befugnisse des Kaiserlichen Bundesfeldherrn, der im Frieden die militärische Befehlsgewalt mit den Kontingentsherren teilt, auch das Ernennungsrecht der Höchstkommandierenden jedes Kontingents sowie der Festungskommandanten und das Besichtigungsrecht hat, im Kriege aber den gesamten Oberbefehl, den besten Beweis und die Gewähr für die Einheitlichkeit des Deutschen Heerwesens trotz seiner Eigenschaft als Kontingentsheer liefern. Ein vorzugsweise die Land- und Seegrenzen sicherndes, im übrigen verschiedenen strategischen Zwecken dienendes System fester Plätze ist, mit Ausnahme der bayerischen Festungen, Eigentum des Reichs und steht unter der Aufsicht des Kaisers.[1]

Das Eisenbahnwesen, ebenso die Herstellung von Land- und Wasserstrassen im Interesse der Landesverteidigung, unterstehen nach Art. 4 der Verfassung der Beaufsichtigung des Reichs und seiner Gesetzgebung (in Bayern – abgesehen von den Rücksichten der Landesverteidigung – jedoch vorbehaltlich des Art. 46). Das in der Mehrheit der Linien verstaatlichte, vielfach mehrgleisige Eisenbahnnetz (etwa 62 000 km mit einem Anlagekapital von 18 Milliarden Mark oder 292 753 M. für den km bei den vollspurigen Bahnen) ist einheitlich und einer der wichtigsten Faktoren der Deutschen Wehrkraft, indem ohne, seine von der Obersten Heeresleitung beanspruchte Hilfe eine Kriegführung mit Massenheeren undenkbar ist. Elsass-Lothringen hat vom Reichseisenbahnamt beaufsichtigte Reichseisenbahnen. Ferner sind das übrige Land- und das Wasserverkehrssystem sowie der Post- und Telegraphenverkehr (letzterer vorbehaltlich der Bestimmungen des Art. 52 für Bayern und Württemberg) vom Reiche beanspruchte wichtige Kriegsmittel. Alle deutschen Truppen tragen seit der A. K. O. v. 22. VIII. 97 neben der Landes- die Kokarde des Deutschen Reichs als gemeinsames Abzeichen. Sie werden, ausser der Bayerischen, sowie der Preussischen Garde, innerhalb der Waffen fortlaufend nummeriert. Deutsch ist auch die Sprache des Heeres, das nur 3 v. H. fremdsprachige Rekruten enthält.


  1. Näheres über das Deutsche Landesverteidigungssystem in W. Stavenhagen: „Grundriss der Befestigungslehre und des Militärverkehrswesen.“ 4. Aufl. 10. E. S. Mittler & Sohn.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/302&oldid=- (Version vom 11.12.2021)