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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Zur Erhöhung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit gewinnt neben einer zweckmässigen Lebensführung die Pflege einer rationellen Körperkultur immer höhere Bedeutung. Neben Turnen, Fechten, Schiessen, Reiten (besonders auch im Gelände und bei Nacht in unbekannter Gegend, um das Zurechtfinden zu lernen). Schwimmen als besonderen Übungszweigen wird heute auch einem massvollen Sport, der Jagd und körperlichen Spielen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, zumal ja auch die Charakterbildung unter dem Einfluss körperlicher Ertüchtigung steht.

Die durch vielfache Mittel erzielte taktische Ausbildung, die vor allem einfache Formen[1] gegenüber der heutigen mörderischen Feuerwirkung anstrebt, ruht zunächst beim Regimentskommandeur. Im praktischen Dienst wird der Offizier vor bestimmte Aufgaben gestellt, die sein taktisches Verständnis schärfen, ihm Anlass zu selbständigen Entschlüssen und Handlungen geben und ihn in der Beherrschung der Truppe schulen. Eine weitere Vertiefung dieser Ausbildung und die Förderung der geistigen Entwicklung überhaupt geschieht durch Kriegsspiele, theoretische taktische Aufgaben, Winterarbeiten, Vorträge im Offizierkorps und in militärischen Gesellschaften, Übungsritte, Übungsreisen unter Heranziehung von Offizieren aller Waffen, Generalstabs- und Festungsgeneralstabsreisen, ebenso durch Selbststudium der Kriegsgeschichte, unserer vornehmsten militärischen Lehrmeisterin, besonders zur Bildung des Urteils und Unterscheidung des Kriegsgemässen von dem nur im Frieden Möglichen, sowie zum Erkennen der Macht der Persönlichkeit. Hierzu kommen Erwerbung der Fertigkeit in fremden Sprachen, Gewandtheit in Anfertigung von Skizzen und die zahlreichen Kommandos zu anderen Waffen, Behörden, Lehr- und anderen militärischen Anstalten. Ausser der Militärtechnischen Akademie für die Spezialwaffen sei hier besonders die Kriegsakademie hervorgehoben, die Offizieren aller Waffen eine militärische Hochschulbildung erteilen und besonders auch die künftigen Generalstabsoffiziere heranbilden soll. Leider reichen die beiden Akademien, die preussische (1912 wurden von 754 geprüften Offizieren 160 einberufen) und die bayerische (wo 19 Offiziere einberufen wurden) lange nicht mehr aus, um das Bildungsbedürfnis zu stillen, und in Anbetracht der grossen Erhöhung der Zahl der Offiziere bedarf es einer Vermehrung dieser Institute und gleichzeitiger Verteilung auf andere Provinzen. Ob die heutige militärwissenschaftliche (wie allgemeine) Bildung unseres Offizierkorps bei den gesteigerten Anforderungen der Zeit und der Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus noch ausreicht, zumal die vielseitige praktische Tätigkeit die Zeit zu kriegswissenschaftlicher Arbeit immer mehr einschränkt, darüber bestehen vielfach Zweifel in der Armee und bei ihren Freunden. Es gibt leider eine Richtung im Heere, die das Studium der Theorie des Krieges, das zur Heranbildung nicht nur höherer Führer, sondern auch des im gesamten Offizierkorps nötigen Verständnisses für die höhere Führung, die „Imperatorik“ und „Strategie“, unerlässlich ist, für überflüssig hält. Ebenso wie die Erweiterung des Gesichtskreises auf anderen, nicht rein militärischen, aber zur Erziehung und Fürsorge der Truppe erforderlichen Gebieten. Sie vergisst Willisens Wort, dass vom Wissen zum Können der Schritt kleiner ist als vom Nichtwissen, und übersieht auch, dass zur Behauptung der sozialen Stellung des Offiziers seine Fühlung mit dem Wissen und den Interessen der Nation unerlässlich ist. Zuzugeben ist, dass, da die Truppenführung eine Kunst ist, sie nur bis zu einem gewissen Grade erlernt werden kann, im übrigen angeborene Talente erfordert. Aber nur auf der Grundlage der Theorie kann sich die Tat lebendig ergehen, die Wissenschaft ist keine Gefahr, auch wenn sie die vielfach gefürchtete „Kritik“ schärft!

Militärisch wichtig ist auch die grossartige Organisation der Vereine vom Roten Kreuz (850 000 Mitglieder). Ihr gehörten 1912 allein 1941 Sanitätskolonnen mit 44 508 Köpfen an. Hierzu kommt eine freiwillige weibliche Krankenpflege.

Krankenpflegerinnen (in Mutter- und Töchterhäusern, in denen 4000 Rote Kreuz-Schwestern und 1800 Hilfsschwestern tätig sind, während der Krieg etwa 15 000 Schwestern erfordern dürfte). Ferner seien die zahlreichen Kriegs- und Veteranenvereine (besonders der deutsche Kriegerbund und der Kyffhäuserverband), der deutsche Turnverein (über 1 Million Mitglieder), der Jungdeutschlandbund für die Jugendpflege und der sehr rührige Deutsche Wehrverein in diesem Zusammenhang erwähnt. Angeregt ist die allgemeine Dienstpflicht der Frau zu der Ausbildung in der Krankenpflege und wichtiger häuslicher Tätigkeit.

7. Entlassung und Versorgung.

Das Entlassungswesen regelt die Heerordnung. Dispositionsbeurlaubungen vor beendeter Dienstpflicht (bei der Kavallerie und reitenden Artillerie) sind nur ganz ausnahmsweise zulässig. Jeder Soldat tritt zum Beurlaubtenstand seiner Waffe zurück, während Einjährigfreiwillige auch zu anderen Waffen nach der Verfügung der Generalkommandos und obersten Waffenbehörden überführt werden können. Alle aus dem aktiven Dienst zu entlassenden Leute werden ärztlich untersucht, ebenso auf die Wahrung des Dienstgeheimnisses hingewiesen. Die Offiziere treten entweder zum Beurlaubtenstande über oder in die Gendarmerie, die Invalidenhäuser oder werden (mit und ohne Uniform und Pension) verabschiedet, freiwillig oder unfreiwillig, zuweilen mit Charaktererhöhung. Es gibt Offiziere a. D. (mit vollen Staatsbürgerrechten, nur, sofern sie Uniform tragen, den Ehrengerichten unterstellt) und solche z. D. (sie unterstehen den Militär- und den Ehrengerichten und werden auch bisweilen in inaktiven Heeresstellen verwendet). Die Aussicht auf Wiederanstellung im Heere wird grundsätzlich nicht erteilt. Ausgemusterte Soldatenpferde werden durch Verkaufskommissionen veräussert.

Die Versorgung der Offiziere, Militärbeamten und Mannschaften geschieht durch Pension (Gesetze vom 31. V. 06 sowie Pensionsvorschrift vom 16. III. 12) und durch Anstellung im Zivildienst, in der Gendarmerie,


  1. Über die Bewegungs- und Gefechtsformen, sowie die Grundsätze der Kriegsgliederung muss der Offizier, in erhöhtem Masse der Kavallerie-Offizier, auch bei den Nachbararmeen unterrichtet sein. Die Taktik muss noch mehr psychologisch gehandhabt werden, als es heute der Fall ist.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/312&oldid=- (Version vom 11.12.2021)