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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Heeresforderung, die je an den Reichstag herangetreten ist und ohne ernstliche Kämpfe von allen staatsfreundlichen Parteien im vollen Umfange bewilligt worden ist, soll – ein neuer Gedanke – nach dem Gesetz einmal die Erhebung eines einmaligen ausserordentlichen Wehrbeitrages vom Vermögen und bei gewissen im § 10 genannten Personen auch vom Einkommen erhoben werden (die kleinen Vermögen und Einkommen bis zu 5000 M. sind steuerfrei, die übrigen fortschreitend gestaffelt) und zwar in 2 Jahresraten. Wie diese Verminderung des Volksvermögens volkswirtschaftlich wirken wird, darüber ist noch keine Übersicht vorhanden, man veranschlagt den Gesamtertrag auf 975 bis 1000 Millionen M., veranlagt nach dem Vermögensstande vom 31. XII. 13. Er wird zur Deckung der einmaligen Ausgaben von 990 Mill. M. dienen und ist für 1913 bereits mit einer Rate von 373,9 Mill. M. eingesetzt.

Ferner wird zur Deckung der erheblichen fortlaufenden Ausgaben zum ersten Male für das Reich von dem Zuwachs des Grund-, Betriebs- und Kapitalvermögens eine direkte Besitzsteuer eingeführt, wobei der jeweilige Vermögenszuwachs am Ende einer 3jährigen Steuerperiode, wenn der Betrag 10 000 M. übersteigt, berechnet wird. Darin ist auch die Besteuerung des Kindeserbes mit enthalten. Allem Anschein nach ist dies der Anfang zur Reichsvermögenssteuer, die viel bekämpft und von vielen Seiten lieber durch eine Erbschaftssteuer als Spezialsteuer ersetzt gewünscht wird, während die direkte Besteuerung den Einzelstaaten und Gemeinden überlassen bleiben soll.

Hinzu treten zu den einmaligen Ausgaben noch die Beschaffung eines ausserordentlichen Silber- und Goldbestandes von je 120 Millionen M. unter entsprechender Vermehrung der Reichskassenscheine zu 5 und 10 M., wozu noch 15 Mill. M. aufzubringen sind.

Dieser Bestand soll im Verein mit dem seit Ende des deutsch-französischen Krieges im Juliusturm zu Spandau unverzinslich lagernden Goldvorrat von 120 Millionen M. einen Kriegsschatz für die ersten Kriegstage bilden, von denen jeder, nur 6,0 M.[1] für Mann und Tag gerechnet, täglich bei einer Heeresstärke von bloss 3 Millionen Köpfen 18 Millionen M. (jährlich also 6,5 Milliarden) erfordern dürfte, also der Vorbereitung der finanziellen Kriegsbereitschaft dienen, die nicht minder wichtig als die operative ist. Von diesen niedrigst gerechneten Sätzen werden ⅛ gleich zu Beginn für Mobilmachung, Armierung der Festungen, Aufmarsch und Füllung der Magazine zu rechnen sein. Ferner etwa 1000 Millionen zur Deckung des ausserordentlich gesteigerten Bedarfs bei Handel, Industrie und Landwirtschaft, 280 zur Überwindung der erfahrungsmässigen Panik (Sturm auf die Sparkassen usw.) des Publikums. So bleiben noch 2,50 Milliarden von dem Jahresbedarf für die Operationen der ersten Zeit. Ein Betrag, der angesichts eines Volksvermögens von 350 Milliarden mit jährlichem Einkommen von mindestens 40 Milliarden und automatischen Vermögenszuwachses von 8 Milliarden, ferner 16 Milliarden im deutschen Besitz befindlicher Auslandsrente, die eine Schuld fremder Staaten an uns darstellt und zum Teil flüssig ist und zur Deckung der Zinsen einer Kriegsanleihe benutzt werden kann, sowie nur einer – zur Hälfte in produktiven Unternehmungen angelegten Reichsschuld von 5,2 Milliarden, unschwer aufzubringen ist. Hierzu dienen die vorhandenen Reichskriegsschätze, dann die Barmittel der Staatskassen und besonders der Goldbestand der Reichsbank, die Einrichtung von schon 1848, 1866 und 1870/71 bewährten Darlehns- (Lombard-) Kassen, die Aufnahme von Kriegsanleihen, Ausschreibung von Kriegssteuern, Erhöhung aller sonstigen Steuern und Zölle, Ausgabe von Papiergeld (Schatzscheinen) mit Zwangskurs und Einschränkung aller grösseren staatlichen Ausgaben, z. B. für Bauten, Luxus- und sonstige entbehrliche Anlagen.

Es sind also sehr vielseitige und schwierige Erwägungen nötig, die nur in engstem Einvernehmen zwischen Heeres- und Finanzleitung des Staats und den grossen Finanzbanken und Industrie-Unternehmungen zu lösen sind, wobei sowohl die militärische wie die Finanzlage eingehend zu berücksichtigen bleiben. Eine aus Vertretern aller dieser Ressorts zu bildende ständige Finanzkommission schon im Frieden ist geplant. Die Reichsbank erhöht ständig ihren Goldbestand.

Nicht mindere Aufmerksamkeit erfordert die Vorbereitung der gesicherten Verproviantierung der heimischen Bevölkerung im Kriegsfall, zumal Deutschland schon jetzt etwa ⅓ seiner Nahrung aus dem Auslande beziehen muss, nachdem es immer mehr Industriestaat geworden ist. Ebenso bedarf es der Versorgung der Industrie mit Rohstoffen und der deutschen Kolonien. Eine wichtige Zufuhrstrasse, die auch im Kriege offen zu halten ist, wird von Konstantinopel durch die Balkanstaaten und Oesterreich-Ungarn führen.

9. Das deutsche Volksheer im Kriege.

Der Kaiser hat die völkerrechtliche Vertretung des Reichs, daher auch in seinem Namen den Krieg zu erklären, Frieden zu schliessen und Bündnisse einzugehen mit fremden Staaten.


  1. Wahrscheinlich werden die Kosten im Anfang sogar 10 M. betragen und besser eine Kriegsstärke von 4 Millionen anzunehmen sein, was also 14,6 Milliarden jährlich erfordern dürfte. Denn schon 1870/71 beliefen sich – mit den zunächst unvergütet gebliebenen und gestundeten Naturalleistungen Deutschlands und Frankreichs für die deutschen Heere, sowie der Unterstützung der Familien des Beurlaubtenstandes der zu den Fahnen Einberufenen, aber einschl. der Kosten für die Wiedereinrichtung des Heeres nach dem Kriege – die Kriegskosten vom 1. Mobilmachungstage am 16. Juli bis zur Demobilmachung Ende Juni, also für 350 Tage bei einer durchschnittlichen Kriegsstärke von 1 180 000 Mann täglich auf 6,3 Millionen oder für den Mann auf 5,34 M. mindestens, im ganzen auf 2191 Millionen. Hierin sind die bei Ausbruch des Krieges auf Grund des Friedensetats von 1870 vorhandenen Mittel, nicht aber die Invaliden-, Witwen- und Waisenkosten und die Entschädigung für den Verlust an Privateigentum enthalten.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/314&oldid=- (Version vom 11.12.2021)