Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/321

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Mit dem Jahre 1905 setzt dann der Zeitraum schnellster Entwicklung ein. Dem eigenen Landsmann, Grafen Zeppelin, hatte man mit seinem Voraussagen der Zukunft der „Lenkballone“, jetzt im technischen Sprachgebrauch „Luftschiffe“ genannt, nicht geglaubt, aber die Fahrten des Brasilianers Santos Dumont in Paris und des Ingenieurs Juilliot (Brüder Lebandy) zwangen auch die deutsche Heeresverwaltung, dem Luftschiffbau Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Kommandeur des Luftschifferbataillons, Major v. Besser, dessen Name der Vergessenheit entrissen zu werden verdient, ordnete die nötigen Massnahmen an, Oberingenieur Basenach, unterstützt durch Ingenieur Eberhard, wurde mit dem Bau beauftragt und Hauptmann Gross, der bis dahin die Ansicht verfochten hatte, der Gedanke an ein Luftschiff bliebe eine Utopie, wurde die Leitung übertragen. Die Versuchsfahrten mit dem 1907 fertiggestellten Schiff unternahmen hauptsächlich Hauptmann Sperling, Oberleutnant George und Ingenieur Basenach. Gleichzeitig wurden auch Versuchsfahrten durchgeführt mit dem von der Motorluftschiff-Studiengesellschaft erworbenen Luftschiff des Majors v. Parseval. Der erweiterte Dienstbetrieb machte eine fernere Vermehrung der Truppe notwendig. Wir haben jetzt 5 Luftschiffer-Bataillone, die einer Inspektion der Luftschiffertruppen unterstellt sind, die wiederum der Inspektion des Militär-Luft- und Kraft-Fahrwesens und als oberster Behörde der Generalinspektion des Militär-Verkehrswesens untergeordnet ist.

Im Jahre 1910 kam man endlich zu der Überzeugung, dass auch die Flugzeuge militärische Bedeutung besitzen. Hierzu hatten wesentlich die auf Veranlassung von August Scherl vom Verfasser geleiteten Flüge von Orville Wright über dem Tempelhofer Felde beigetragen. Es wurde eine besondere Fliegertruppe gebildet, die selbständig gemacht wurde, weil der damalige Kommandeur der Luftschiffer die Ansicht vertrat, Flugzeuge würden niemals brauchbare Kriegsfahrzeuge werden. Die schnelle Entwicklung der Flugtechnik hat es mit sich gebracht, dass wir heute 4 Flieger-Bataillone haben, die der Inspektion der Fliegertruppe sowie als höheren Behörden den oben schon genannten Behörden unterstellt sind.

B. Verwendung der Luftfahrertruppen.

Die Truppen sind in der Hauptsache für die Aufklärung bestimmt, in zweiter Linie für den Kampf, und zwar Abwerfen von Sprengmunition, die Flugzeuge endlich auch für die Beförderung von Nachrichten und Meldungen.

Der ursprünglich allein zur Anwendung gelangte Fesselballon ist durch Luftschiffe und Flugzeuge sehr in den Hintergrund geraten. Im Frieden dient er vornehmlich der Ausbildung der Offiziere im Beobachten; der Aufenthalt im schwankenden Korbe führt gleichzeitig Gewöhnung und Vertrautheit mit dem ungewohnten Element der Luft herbei. Bei künftigen Festungskriegen wird aber auch er noch eine Rolle spielen, wenn die anderen Luftfahrzeuge für wichtigere Aufgaben zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch für Signalgebung auf weite Entfernung kann er verwendet werden. Die Sicherheit, mit der Artillerie jeden in Schussbereich gelangenden Ballon herabschiesst, zwingt aber, sehr weit von den feindlichen Reihen abzubleiben, so dass klares Wetter für die Aufstiege Bedingung ist.

In den letzten Jahren hat man begonnen, den manntragenden Fesseldrachen, der in den Heeren einiger fremder Armeen eingeführt ist, auch bei uns als Ersatz des Ballons zu benutzen. Auf Schiffen, an der Küste und da, wo stärkere Luftbewegung die Regel ist, leistet dieses einfache und billige Fahrzeug ausgezeichnete Dienste. Vorzüglich geeignet ist der Drache ferner zur Signalgebung auf weite Entfernung; bei Nacht an ihm angebrachte Lichter waren bis 50 km weit sichtbar. Für koloniale Zwecke wird man sicher mehr denn bisher auf den wohlbekannten Drachen zurückgreifen.

Der Freiballon, der fast willenlos vom Winde dahingetrieben wird, ist für den Feldkrieg überflüssig. Im Festungskriege wird man ihm aber wieder dieselbe Rolle zuteilen, die er schon 1870/71 bei den Franzosen in so ergiebigem Masse und mit so grossem Erfolge gespielt hat: die Verbindung der eingeschlossenen Festung mit der Aussenwelt zu unterhalten. Kein anderes Luftfahrzeug ist aber besser geeignet, die Luftfahrer mit dem Verhalten der Atmosphäre vertraut zu machen, als der Freiballon. Den unbemannten freifliegenden Aerostaten kann man auch dazu verwenden, Sprengstoffe

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/321&oldid=- (Version vom 12.12.2021)