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1884, deutsch-russischer Rückversicherungsvertrag 1887–1890, Begründung des Zweibundes 1891. Die Lage war in diesem Zeitraum im wesentlichen beherrscht durch die deutsch-französischen und die deutsch-russischen Beziehungen. Da sich die englische Politik in dauerndem Gegensatz zur russischen befand, kam für sie nur eine Anlehnung an Deutschland oder an Frankreich in Betracht, und sie hat mehrfach zwischen beiden geschwankt. Das Kabinett Gladstone (1880 bis 1885) war anfangs nach Frankreich hin orientiert; man pflegte von dem englisch-französischen „Bündnis“ zu sprechen, obwohl ein eigentlicher Bündnisvertrag nicht existierte, und der Versuch, die Freundschaft durch einen Handelsvertrag zu befestigen, schlug fehl. (1882.) Bismarck hatte eine engere Anlehnung an England erstrebt, ohne jedoch das Misstrauen der englischen Liberalen überwinden zu können. Die englisch-französische Freundschaft war ihm indes keineswegs unsympathisch, da sie Frankreich von einer Annäherung an Russland abhielt, und nur unter Gambetta wurde sie ihm zu „exklusiv“. Nun entstand aber ein dauernder Gegensatz zwischen Frankreich und England, als Frankreich endgültig die Gelegenheit verpasst hatte, das Kondominium in Ägypten aufrecht zu erhalten und seitdem England allein am Nil gebot. Durch die Konstellation von 1884, die die Erneuerung des Dreikaiserbündnisses und eine französisch-deutsche Annäherung (unter Jules Ferry) brachte, wurde England vollends isoliert. Frankreich war nicht nur in Ägypten, sondern durch seine gesamte neue Kolonialpolitik sein Gegner geworden; mit Russland bereitete sich ein bedrohlicher Konflikt in Mittelasien vor, wo die Russen bis an die afganische Grenze vordrangen (Konflikt von Penjdeh 18S5); und zugleich schufen die Anfänge der deutschen Kolonialpolitik Gegensätze und Reibungen zwischen England und Deutschland. Bismarck hatte England seine Unterstützung in Ägypten als Kompensation für kolonialpolitische Zugeständnisse angeboten; England erkannte die Notwendigkeit einer Verständigung mit Deutschland, und während der letzten Zeit der Gladstoneschen Regierung bestand eine englisch-deutsche Annäherung. – Der konservative Premierminister Lord Salisbury (1885, 1886–92, 1895–1902) begann seine auswärtige Politik ebenfalls mit einer Orientierung nach Frankreich. Er war damals sogar bereit, sich unter gewissen Bedingungen zur Räumung Ägyptens zu verpflichten; aber noch ehe die Verhandlungen ihren Abschluss gefunden hatten, entschloss er sich zur Anlehnung an den Dreibund. Entscheidend war für ihn die bulgarische Krisis und die Interessengemeinschaft, die hier England mit Italien und Österreich verband, ferner die Sorge um Ägypten, und die deutlicher werdenden Tendenzen zu einer französisch-russischen Annäherung. Indes blieb Englands Anlehnung an den Dreibund, ebenso wie seine frühere Anlehnung an Frankreich, lockerer Natur; weder in dem einen noch in dem andern Falle hat die englische Regierung vertragsmässige Verpflichtungen übernommen. England ist in dieser Periode nur eine feste Entente eingegangen, die auf bestimmten Vereinbarungen basiert war, nämlich mit Italien. Seitdem Frankreich, wenn auch mit Zustimmung Englands, Tunis erworben hatte (1881), war das Gleichgewicht im Mittelmeer verschoben, und eben aus diesem Grunde war Italien dem deutsch-österreichischen Bündnis beigetreten. Italien fand aber in dem Dreibund keinen ausreichenden Schutz zur See. Bei der Erneuerung des Dreibundes (20. Februar 1887) schlossen England, Österreich-Ungarn und Italien zwei Abkommen, vom 12. Februar und 24. März 1887, worin sie sich verpflichteten, den Status quo im Mittelmeer zu erhalten, keine Veränderung desselben zuzulassen und in jedem Falle gemeinsam vorzugehen.[1] England „flankierte“ den Dreibund, aber zugleich bewahrte es sich in seinem Verhältnis zum Dreibunde stets eine ziemlich grosse Elastizität. Diese zeigte sich u. a. darin, dass i. J. 1891 die französische Flotte auf ihrer Rückkehr von den Verbrüderungsfesten in Kronstadt nach Portsmouth eingeladen wurde, wo die Königin Viktoria eine Revue über sie abhielt. Lord Salisbury soll stets besorgt haben, dass der Preis für den formellen Beitritt Englands zum Dreibund die Garantie des deutschen Besitzes von Elsass-Lothringen sein würde.

Auch nach der Gründung des Zweibundes setzte Lord Salisbury seine dreibundfreundliche Politik fort. Die Entente mit Italien half den Status quo im Mittelmeer erhalten, und die von ihm unterstützte italienische Politik in Abessynien diente den ägyptisch-englischen Interessen am oberen Nil. Englands Stellung in Ägypten beruhte noch immer ganz wesentlich auf der Unterstützung,


  1. Crispi, questioni internationali (Milano 1913) S. 86.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/324&oldid=- (Version vom 12.12.2021)