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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

III.

Der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis dienen die paritätisch zusammengesetzten Gewerbegerichte unter Vorsitz eines rechtverständigen Beamten (Gewerbegerichtsgesetz vom 29. Juli 1890 / 30. Juni 1901.) Die Berufung an das Landgericht setzt voraus, dass der Wert des Streitgegenstandes 100 M. übersteigt. Die Kontrolle über die Einhaltung der Schutzvorschriften ist nach englischem Vorbilde besonderen Organen, nämlich den Gewerbeaufsichtsbeamten und, soweit es sich um die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften handelt, den Revisionsbeamten der letzteren übertragen. Die ersteren werden von den Landesregierungen ernannt und üben diese Aufsicht hauptberuflich aus. Dabei stehen ihnen alle Rechte der Ortspolizeibehörden, besonders der jederzeitigen Revision der Anlagen zu. Sie haben Jahresberichte über ihre Tätigkeit zu erstatten, die ganz oder auszugsweise dem Bundesrate und dem Reichstage vorzulegen sind und vom Reichsamt des Innern zusammengestellt und veröffentlicht werden. Die Aufsicht über den Bergarbeiterschutz üben besondere Bergbehörden. Im Reiche gab es im Jahre 1911 228 gewerbliche und 91 bergbauliche Aufsichtsbezirke, erstere mit 543, darunter 29 weiblichen, letztere mit 111 Aufsichtsbeamten. Die Zahl aller Betriebe mit mindestens 10 Arbeitern betrug 297 969, in denen 6 935 657 Arbeiter beschäftigt waren, darunter 5 099 154 erwachsene männliche, 1 317 682 erwachsene weibliche, 505 417 junge Leute von 14–16 Jahren (332 882 männliche und 172 535 weibliche) und 13 404 Kinder. Revidiert wurden 162 227 = 54,4% dieser Betriebe mit 5 818 994 Arbeitern = 83,9% aller Arbeiter. Im Jahre 1910 wurden Zuwiderhandlungen bei der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in 17 854 = 11,6% der revidierten Betriebe ermittelt und 1200 Personen deshalb bestraft, bei der Beschäftigung von Arbeiterinnen in 13 609 = 8,8% der revidierten Anlagen, wofür 925 Personen bestraft wurden. An erster Stelle standen dabei die Verletzungen der Vorschriften über Anzeigen, Verzeichnisse und Aushänge (14 223 und 10 895). Im ganzen wurden wegen Vergehens gegen den Arbeiterschutz 24 614 Handlungen und 24 291 Personen gestraft, von letzteren 24 226 mit Geldstrafe, 12 mit Gefängnis (alle wegen rechtswidriger Verwendung von Lohnabzügen), 18 mit Haft, 35 mit Verweis. Von den Handlungen betrafen 10 552 die Sonntagsruhe, 3828 die Arbeitszeit in offenen Verkaufsstellen, 3579 den Kinderschutz nach dem Kinderschutzgesetz, 1647 die Arbeiterversicherung, 1003 den Jugend- und Kinderschutz nach der G.O. Ueberarbeit erwachsener Arbeiterinnen an Wochentagen wurde 5860 Betrieben und darin 451 554 Arbeiterinnen in Höhe von rund 6¼ Million Arbeitsstunden bewilligt, solche an Vorabenden von Sonn- und Festtagen 347 Betrieben und darin 6 052 Arbeiterinnen. Ausnahmen betreffs Sonn- und Festtagsarbeit wurden 2915 Betrieben und darin 135 234 Arbeitern in Höhe von fast 1½ Millionen Arbeitsstunden gewährt. Von den 66 Unfallberufsgenossenschaften haben 63 insgesamt 266 Revisionsbeamte. Im Jahre 1909 wurden von diesen 87 157 Betriebe mit über 2 Mill. Arbeitern revidiert bei einer Gesamtheit von 539 867 Betrieben mit 6,3 Mill. Arbeitern.

Die Erfolge der Arbeiterschutzgesetzgebung sind sehr gute. Wie der glänzende Aufschwung des deutschen Wirtschaftslebens seit 1895 beweist, hat die deutsche Industrie die ihr dadurch auferlegten pekuniären Lasten ohne Schaden getragen. Die Gesundheits- und Sterblichkeitsverhältnisse der Arbeiterschaft haben sich bedeutend gebessert. Die Zahl der gewerblich beschäftigten Kinder ist seit 1892 etwas zurückgegangen, dagegen hat sich die der 14–16 jährigen Arbeiter und ebenso die der erwachsenen Arbeiterinnen nahezu verdoppelt. Am wenigsten durchgeführt ist bisher das Kinderschutzgesetz. Was die Fortführung der Schutzgesetzgebung betrifft, so wird sozialreformerischerseits namentlich gewünscht die Erhöhung des Schutzalters aller Jugendlichen von 16 auf 18 Jahre, die weitere Ausdehnung der Sonntagsruhe, besonders im Handelsgewerbe, eine weitere Herabsetzung der Arbeitszeit für Frauen und Jugendliche und endlich die Ausdehnung des gesamten Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie und die Bergarbeiter.

Was die übrigen Länder betrifft, so ist der Arbeiterschutz am weitesten in der Schweiz ausgebildet, die darin auch Deutschland und England übertrifft, am rückständigsten in den erst dürftige Ansätze aufweisenden Vereinigten Staaten von Nordamerika. Höchstarbeitstage für alle Arbeiter in fabrikmässigen Betrieben haben: die Schweiz den elfstündigen seit 1877 und

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/33&oldid=- (Version vom 5.11.2021)