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Charakters: namentlich ein Abkommen zwischen Kanada und Japan über die Frage der japanischen Einwanderung. Schon die Imperial Federation League hatte in ihrem Programm von 1884 den Grundsatz aufgestellt, dass die Kolonien an der auswärtigen Reichspolitik Anteil haben, dafür aber auch Pflichten in der Reichsverteidigung übernehmen sollten. Die Frage war in letzter Zeit durch die Entwickelung der ostasiatischen Verhältnisse von neuem akut geworden. Einerseits bestand ein Bündnisvertrag zwischen England und Japan, andererseits wurde der Rassengegensatz zwischen Weissen und Gelben in den Kolonien aufs lebhafteste empfunden; und wenn auch der Einwanderungskonflikt zwischen Japan und Kanada durch ein Abkommen erledigt war, so blieb doch eine fühlbare Inkongruenz zwischen der Haltung Englands und der Kolonien in der ostasiatischen Frage bestehen. Man sagte, die Einheit der auswärtigen Reichspolitik könnte nicht bestehen bleiben, solange das Mutterland und die Dominions eine entgegengesetzte Politik führten. Auf der letzten Reichskonferenz hat die englische Regierung den Präzedenzfall geschaffen, die kolonialen Premierminister zu einer Erörterung der internationalen Lage, soweit sie die Kolonien berührte, hinzuzuziehen; und der neue englisch-japanische Bündnisvertrag sowie die Seerechtsdeklaration von London sind in der Tat den Premierministern vorgelegt worden und haben ihre Zustimmung erhalten. Australien hatte darüber geklagt, dass die Deklaration von London den kolonialen Regierungen nicht schon zur Begutachtung vorgelegt worden sei, bevor die englische Regierung sie unterzeichnete. Die englische Regierung erklärte sich bereit, in Zukunft die Regierungen der Dominions bei internationalen Verträgen, die ihre Interessen berührten, zu konsultieren. Allein Kanada erhob Einspruch. Die Zustimmung zu einer bestimmten auswärtigen Politik Englands lege den Kolonien die Verpflichtung auf, sie nötigenfalls auch bis zur äussersten Konsequenz zu unterstützen; Zustimmung zu der auswärtigen Politik des Mutterlandes bände notwendigerweise auch die Wehrpolitik der Kolonien. Gerade hier legte aber Kanada den grössten Wert auf die Selbständigkeit der Entscheidung.

Auf der Konferenz von 1902 hatte die englische Regierung die grössten Anstrengungen gemacht, die Kolonien zu direkten Geldbeiträgen zur Reichsverteidigung zu bestimmen. Sie verfolgte eine ausgesprochen zentralisierende Politik; ein Memorandum der Admiralität betonte mit zahlreichen Hinweisen auf die Geschichte der Seekriege, die strategischen Grundsätze der Einheit der Flotte und der Einheit des Kommandos. Es gelang der englischen Regierung, Australien zur Aufgabe des Flottenabkommens von 1887 zu bestimmen; Australien willigte in die bedingungslose Zahlung eines Geldbeitrags, ohne dass das australische Hilfsgeschwader künftig an die australischen Gewässer gebunden sein sollte. Auch Neuseeland und Natal bewilligten Geldbeiträge. Nur Kanada lehnte den Vorschlag ab und erklärte, eine eigene Flotte bauen zu wollen. Der neue Vertrag war in Australien sehr unpopulär, und in der Kolonie entstand der lebhafte Wunsch, ebenfalls eine eigene Flotte zu haben. Auf der Konferenz von 1907 sah sich die Admiralität genötigt, ihren prinzipiellen Widerspruch gegen selbständige koloniale Flotten fallen zu lassen; allein der volle Umschwung trat erst auf der subsidiären Wehrkonferenz von 1909 ein. Hier wurde den Kolonien nicht nur zugestanden, eigene Flotten zu bauen, sondern auch, dass diese im Frieden unter der ausschliesslichen Kontrolle der kolonialen Regierungen stehen sollen. Das kanadische Flottengesetz von 1909 behielt aber ausdrücklich der kanadischen Regierung die Entscheidung auch darüber vor, ob die kanadische Flotte an einem Kriege Englands oder des Reichs teilnehmen solle oder nicht. Auch das australische Flottengesetz von 1910 bestimmte, dass die Bundesregierung die australische Flotte der englischen Regierung zur Verfügung stellen „dürfe“. Allerdings bleibt die Einheit des Kommandos gewahrt, wenn die Kolonien beschliessen, an einem Kriege Englands teilzunehmen; in diesem Falle werden die kolonialen Flotten für die Dauer des Krieges unter die Befehle der Admiralität gestellt. Die künftige australische Flotte wird eine Einheit des englischen Geschwaders im Pacific bilden; dagegen hatte Kanada abgelehnt, die seinige dem englischen Geschwader zu inkorporieren.

Auf der letzten Reichskonferenz von 1911 wurden die Einzelheiten dieser Fragen festgesetzt. Namentlich wurde der Grundsatz aufgestellt und angenommen, dass die volle Kontrolle der Kolonialregierungen über ihre Flotten nur innerhalb der Grenzen der ihnen zugewiesenen Stationen ausgeübt werden kann; wenn koloniale Kriegsschiffe die Gewässer ihrer Station verlassen, stehen sie

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/333&oldid=- (Version vom 13.12.2021)