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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Stellung in Weltpolitik und -Wirtschaft sich errungen hat, und die Elemente, aus denen sich heute die für die Vereinigten Staaten unbedingt notwendige Einwanderung zusammensetzt, sind in zunehmendem Masse anderen Blutes, romanischer, slavischer, semitischer Abstammung. In Verbindung damit gewinnt die Tatsache, dass Millionen von Negern noch im Staatskörper vorhanden sind, eine besondere Bedeutung. Wird auch dieses Problem, so wichtig es für die allgemeine Zukunft der Vereinigten Staaten ist, ihre auswärtige Politik in absehbarer Zeit nicht wesentlich berühren, so liegen genug Konfliktsmöglichkeiten für sie auch darin und sind schon hervorgetreten. Damit hängt schon die Frage zusammen, die bei der Betrachtung dieser auswärtigen Politik zuletzt erhoben werden muss, die Frage nach ihrem inneren Wert und damit nach ihrem Recht. In dem Optimismus und Vertrauen auf die Zukunft, die den Amerikanern heute eigen sind, wird diese Frage kaum aufgeworfen und wenn je, dann selbstverständlich bejaht. Aber es ist doch kein Zweifel, dass dem gewaltigen Streben nach aussen, wie es uns im heutigen amerikanischen Imperialismus seit Mitte der 90er Jahre entgegentritt, ein innerer Inhalt nur zum Teil entspricht, dass mit anderen Worten eine eigene amerikanische Kultur, für die das imperialistische Programm von heute Bahnen und Sicherheit des Lebens schaffen soll, erst im Werden ist, und dieses Werden wird selbstverständlich aufgehalten oder gar entscheidend bedroht, wenn die bisher zweifellos germanischen Ansätze dazu durch andersrassige Elemente im Volkskörper gekreuzt und verändert werden. Eine amerikanische Kultur, die wirklich etwas für die Menschheit leistet und die damit die grandiosen Herrschaftsansprüche der amerikanischen Politik erst rechtfertigt, kann aber nur dann und da zum vollen Erblühen kommen, wo – nach einem im mittleren Westen der Union heute gern gebrauchten Ausdrucke – „the teutonic principles prevail“.

VI. Amerika und Europa.

Inwieweit wird durch die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten von heute ihre Stellung zu Europa und seinen einzelnen Staaten beeinflusst?

Ohne weiteres ist klar, dass die grossenteils auf gegenseitiger Unkenntnis beruhende Gleichgültigkeit gegeneinander längst aufgehört hat. Bis in die 70er Jahre hinein konnte das europäische Staatenkonzert den Vereinigten Staaten verhältnismässig gleichgültig gegenüberstehen. Abgesehen davon, dass gelegentlich koloniale Fragen auf amerikanischem Gebiete Reibungen mit Frankreich oder England hervorriefen, oder dass der grosse Entscheidungskrieg zwischen Norden und Süden der Vereinigten Staaten Europa wirtschaftlich und geistig recht stark berührte, ging man nebeneinander her; auch die grossen Massen europäischer, namentlich deutscher Einwanderung, haben das Band nicht enger gezogen. In den 70er Jahren begann dann die Bedeutung der Vereinigten Staaten wirtschaftlich immer grösser zu werden, begannen Konkurrenz und handelspolitische Differenzen. Auch nahm die Union an manchen Fragen der grossen Politik, z. B. an der Kongo-Konferenz, bereits einen Anteil, den sie bisher nicht beansprucht hatte. Aber erst seit den 90er Jahren ist diese Berührung Nordamerikas mit Europa so eng geworden, dass sie ernsthaft betrachtet werden musste. Auch wenn man den Ruf Steads: „die Amerikanisierung der Welt“ als reichlich übertrieben empfand, so spürte Europa doch überall das Eindringen der amerikanischen wirtschaftlichen Kraft. Die Fragen der handelspolitischen Beziehungen gewannen eine ganz andere Bedeutung als vorher, weniger im Verhältnis der Union zu England oder zu Frankreich, als ganz besonders zu Deutschland, das die gewaltige Wirtschaftskraft der Union gleichfalls erheblich spürte, andererseits aber für sein enorm aufblühendes Wirtschaftsleben auch Ellbogenfreiheit wünschte. Da es von 1890 an (Saratogaconvention) über die verschiedenen amerikanischen Tarife hin nicht recht gelang, in ein erträgliches handelspolitisches Verhältnis zu kommen und namentlich die umstrittene Frage der Meistbegünstigung klar zu regeln, gerieten die beiden Staaten in eine Spannung, die in den offenen Krieg auszugehen schien. Das hätte die amerikanische Politik um die Wende des Jahrhunderts in einen dauernden Gegensatz zum Deutschen Reiche geführt und enge Beziehungen mit England geschaffen, die naturgemäss von diesem lebhaft gewünscht und gefördert wurden und durch die spätere französisch-englische Entente von 1905 eine wesentliche Steigerung erfahren hätten. Damit hätte sich dann auch die Stellung der Union im fernen Osten an der Seite Japans und gegen China und evt. auch Russland ergeben. Sowohl dem Geschick der deutschen, wie der

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/376&oldid=- (Version vom 20.12.2021)