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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Staaten zu erzwingen. Der Vorstoss Perrys gab den ersten Anlass zur Wiedergeburt Japans. Schon längst war man dort mit der Regierung des Shogun unzufrieden geworden und wünschte die Macht dieses Hausmeisters zu brechen und dafür die des Mikado wieder herzustellen. Nun zeigte sich, dass der Shogun gegenüber den Fremden nachgiebig war: das empfand das ganze japanische Volk als eine Demütigung. Es trachtete infolgedessen darnach, eine andere Regierung zu bilden, die die Würde des Reiches gegenüber dem Auslande besser zu wahren verstünde. Zugleich sah man ein, dass man den Westen nur mit westlichen Waffen bekämpfen könne, gleichwie der Mensch den ungeheuren Druck der Aussenluft nur deshalb ertragen kann, weil er in seinem eigenen Körper auch Luft hegt. So beschlossen denn die führenden Geister des Morgen-Sonnenlandes, ihre Heimat ganz und gar in westlichem Sinne umzugestalten, vor allem die industrielle und militärische Technik des Abendlandes einzuführen. Ito ging als einer der ersten, bald nach dem Erscheinen Perrys, nach England, um die dortigen Einrichtungen zu studieren. Andere Staatsmänner gingen später nach Amerika und Russland.

Inzwischen war es in China zu einer Katastrophe gekommen. Angesteckt durch die Gedanken christlicher Sendlinge, hatten „Patrioten“ des Südostens eine gewaltige Erhebung gegen die regierende Dynastie, gegen die Mandschu ins Werk gesetzt. Der Aufstand der Taiping wütete von 1852–1862 und hat nach der geringsten Angabe 30 Millionen Menschen das Leben gekostet, wie er auch an der Zerstörung und Einäscherung vieler blühender Städte schuld war. Die fremden Mächte wollten es nun nicht ruhig ertragen, dass ihr Handel gestört wurde und mischten sich zu gunsten der Dynastie ein. Die Aufrührer wurden, besonders durch den englischen General Gordon und durch Lihungtschang zurückgeschlagen. Die Mandschu waren jedoch durchaus nicht dankbar, sie wandten sich ihrerseits gegen die Europäer. Den Engländern war das recht unbequem, denn sie waren gleichzeitig durch die grosse Meuterei in Indien und durch persische Wirren beschäftigt. Sie gewannen jedoch die Franzosen zu Bundesgenossen und erstürmten mit deren Hilfe 1857 Peking. Die Russen benutzten die Schwäche der Mandschu, um ihnen 1860 durch den Vertrag von Aigun die Amurländer endgültig zu entreissen. Jetzt kam es auch in Japan zu offenem Auftreten gegen die Weissen. Die Folge war die Beschiessung Kagoshimas 1863 und Schimonosekis 1864 durch die Flotten der Engländer, Amerikaner, Franzosen, Holländer, endlich der Preussen, die unter dem Grafen Eulenburg vier Jahre lang damals eine stattliche Flotte in den ostasiatischen Gewässern unterhielten. Die Niederlagen durch die Fremden fachten den Zorn der Japaner aufs äusserste an. Der Bürgerkrieg brach 1868 aus, der Schogun wurde verjagt, und an seiner Stelle zog der Mikado in den Palast von Jeddo ein, das hinfort Tokio, die östliche Hauptstadt genannt wurde. Mit grossem Eifer und mit grosser Geschwindigkeit wurde jetzt die völlige Modernisierung des Inselreiches eingerichtet. Nicht minder ging auch auf dem Festland die Erschliessung weiter ihren Gang. Kein Jahrzehnt verging, ohne dass weitere wichtige Häfen Chinas dem Weltverkehr eröffnet wurden. Seit 1868 begründen die Franzosen ein zusammenhängendes Reich in Indochina. Korea wird 1882 dem Verkehre zugänglich gemacht. Es fehlte natürlich nicht an Rückschlägen und Gegenrevolutionen. Der Mikado hatte die von Saigo Takamori geleitete Satsuma-Rebellion 1877 niederzuwerfen; in Korea waren 1884 gefährliche Wirren. Auch setzte sich das himmlische Reich wieder gegen die beständigen Angriffe der Weissen zur Wehr und führte 1883–85 Krieg mit Frankreich. Durch Besetzung Nordformosas und des Arsenals von Futschau konnten die Franzosen nur wenig ausrichten; erst die Blokade des Golfes von Petschili, die den Zugang von Reis für die Hauptstadt Peking sperrte, hatte den gewünschten Erfolg. China willigte in die Abtretung Tonkings.

Durch neuerliche Wirren in Söul, der Hauptstadt Koreas, wurde der Krieg zwischen Japan und China entzündet. Es scheint nicht, dass eine weisse Macht die Hand dabei im Spiele gehabt habe; die Ratgeber des Mikado wurden einfach durch die Hartnäckigkeit der chinesischen Regierung aufgestachelt und wurden dann durch den Verlauf der Tatsachen mit fortgerissen. Das Ergebnis war eine japanische Besetzung Koreas und des Südsaumes der Mandschurei. Jetzt aber traten die Grossmächte dazwischen. Im März 1895 erklärten die Gesandten Russlands, Deutschlands und Frankreichs, dass sie festländische Erwerbungen von seiten Japans nicht dulden würden und wiesen die enttäuschten Japaner auf Formosa hin. Den Anstoss zu diesem Dazwischentreten gab eine Unterredung, die Herr von Brandt, früher Gesandter in Tokio und Peking, im Februar mit dem

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/379&oldid=- (Version vom 21.11.2023)