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die Läden. Ganz ein anderer Grund war der Widerstand der Notabeln gegen die Verstaatlichung der Bahnen. Die Notabeln, die man in England etwa als Landed Gentry bezeichnen würde, haben in den letzten Jahren, seit dem Aufkommen der parlamentarischen Bewegung, einen merkwürdigen Einfluss erlangt. Man spricht immer von dem demokratischen China, aber es verhält sich damit wie mit den Südstaaten der grossen transatlantischen Union nach dem Bürgerkrieg, als das allgemeine Stimmrecht eingeführt war und trotzdem einige wenige entschlossene und geriebene Führer die Massen des Stimmviehes zu ihrem Sondernutzen ausbeuteten. Der Generalgouverneur des oberen Jangtsebeckens, Wangjenwan, spielte dabei eine zweideutige Rolle. Er gab sich den Anschein, als ob er die Bestrebungen der Notabeln öffentlich unterdrückte, während er sie insgeheim begünstigte: er wollte die Notabeln für sich gewinnen, da sie es in der Hand hatten, ihn als Generalgouverneur endgültig bestätigen zu lassen. Der Mann ist denn auch abgesetzt und durch den tatkräftigen Vizekönig von Tibet, der nicht nur den Dalai-Lama im Februar 1910 vertrieben, sondern auch früher die Engländer durch zähe und folgerichtige Taktik aus Tibet hinauskomplimentiert hatte, durch Tschao-erch-Feng ersetzt worden. Gewöhnlich wird als Grund für die Revolution das Wühlen der Patrioten, der Jungchinesen, ins Feld geführt, eine Bewegung, die sich in der Gesellschaft der Kuo-Ming-Tang besonders greifbar verkörperte. In der Tat hat eine Massregel gegen die Kuo-Ming-Tang den Anstoss zu dem Ausbruch gegeben, denn am 9. Oktober 1911 entdeckte die Regierung in Hankau eine Bombenfabrik der Revolutionäre zugleich mit geheimen Papieren. Die Patrioten gerieten so in eine Notlage und schlugen lieber gleich los. Seit dem 11. Oktober 1911 wütete denn auch fast in dem ganzen Riesenreich der Kampf gegen die Mandschu.

Bei allen äusseren Anlässen kommt es bei politischen wie bei kulturellen Bewegungen darauf an, ob sie eine günstige Konjunktur finden. In China war die Konjunktur durch mehrere Faktoren gegeben. Im ganzen Volke ist von jeher die Überzeugung verbreitet, dass einer jeden Dynastie nur höchstens dritthalb Jahrhunderte vom Himmel beschieden seien. Die Rechnung stimmt zwar nicht, denn viele Dynastien haben weit kürzer regiert, und die eine oder die andere auch länger: aber gleichviel, die Überzeugung ist einmal da, und derartige metaphysische, oder, eigentlicher gesprochen, metahistorische Anschauungen fallen immerhin bei grossen Umwälzungen mit in die Wagschale. Die zweite allgemeine tiefere Ursache der Unruhen ist in der Unzufriedenheit der Chinesen über das Vordringen der Europäer und in ihrer Besorgnis vor der weissen Gefahr zu finden. Keine Regierung, kein Herrscherhaus kann sich auf die Dauer behaupten, wenn es beständig an Erfolgen mangelt; insbesondere, wenn der Glanz nach aussenhin abnimmt und wenn es um die Führung der auswärtigen Geschäfte schlecht bestellt ist. Der dritte Faktor ist die Unruhe, die seit mehreren Jahren überhaupt in ganz Asien herrscht. Die Flammen der revolutionären Feuersbrunst, die Persien und die Türkei, sowie auch einen grossen Teil Indiens ergriffen haben, sind nach China hinübergesprungen. Auch ist das republikanische Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika, auf deren Hochschulen viele Chinesen ihre Ausbildung genossen haben, nicht ohne Einfluss gewesen. Mit den letzten Faktoren berührt sich der vierte, nämlich der erwachende Nationalismus, der einerseits auf grössere Zentralisation im Innern, andererseits auf mehr Macht nach aussen hindrängt. Ein revoltierendes Volk ist immer chauvinistischer als die schwachen Herrscher, die es gestürzt hat. Nachdem die Jungchinesen gesiegt, ist auch – freilich erst nach Jahren – von ihnen ein Anwachsen der gelben Flut zu befürchten. Infolgedessen war ein Sieg der Revolutionäre nicht allzu sehr im Interesse Europas.

Die Revolution verbreitete sich bald über das ganze Reich. Zum Präsidenten der zu schaffenden Republik wurde einstweilen Sunyatsen erwählt. Sein Gegenspieler war Yuanschikai. Mitte Februar 1912 dankte die Mandschudynastie ab.

Genau so wie bei der Türkei nahmen die fremden Mächte die herrschende Verwirrung zum Vorwand für Übergriffe. Russland suchte sich der Mongolei zu bemächtigen, Japan unterstützte die Revolutionäre, und schien es auf eine Lostrennung der Mandschurei, sowie eine moralische und wirtschaftliche Beeinflussung Chinas abzuzwecken. Deutschlands Stellung war bisher unentschieden. Deutsche Banken und Firmen unterstützten mit Geld sowohl den Hof, als auch die Revolutionäre. Eine österreichische Waffenfabrik, die Skoda-Werke, lieh der Republik Geld.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/382&oldid=- (Version vom 21.11.2023)