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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

die Unterhaltung der Gefängnisse, den Regierungsbezirken (Ken und Fu) aufzuerlegen. Man konnte aber den hohen Steuerdruck, zu dem auch das Salzmonopol gehörte, nicht ermässigen, weil seit 1884 in grossem Umfange die Vorbereitungen für einen modernen Konstitutionalismus möglichst schnell beschafft werden mussten, um zugleich die Eröffnung des Parlaments und die Vertragsrevision vorzubereiten. Viele wichtige Aufgaben, wie besonders die Aufforstung der Berge, mussten einstweilen zurückgestellt werden, weil die Not der Landbevölkerung, das Herabsinken vieler Bauern und sogar eines Teiles des Schwertadels in die Kuliklasse der Regierung dringendere sozialpolitische Aufgaben stellte. Das Agrarproblem wurde schon seit Anfang der achtziger Jahre auch für Japan das wichtigste von allen. Da der intensive Hackbau, die Reiskultur und der mit Kopfdüngung betriebene Getreide- und Gemüsebau bei dem Mangel einer rationellen Viehzucht einer Steigerung kaum fähig war, wenn man nicht vom Auslande künstlichen Dünger bezog, so waren viele Teile des Landes übervölkert. Die Versuche der inneren Kolonisation durch Bewirtschaftung des ausgedehnten Oedlandes (Hara) auf den Hochflächen der Gebirge machte nur geringe Fortschritte, weil der japanische Bauer die Reisnahrung nicht entbehren kann und alle Versuche, ihn an Brot und Kartoffeln zu gewöhnen, fehlschlugen. Die Regierung brachte grosse Opfer, um durch eine nach amerikanischem System durchgeführte Besiedelung der äusserst dünn bevölkerten Insel Jeso, die jetzt unter dem Namen Hokkaido als Kolonialgebiet organisiert wurde, durch Verpflanzung von Bauernfamilien aus dem Süden der dringendsten Not zu steuern. Wohl war es gelungen, die dort lebende Urbevölkerung (Ainu) für die neu eingeführte Pferdezucht zu gewinnen; auch war die Einführung europäischen Kernobstes, das im eigentlichen Japan schlecht gedeiht, wohl gelungen; für Hopfen und Gerste, für Zuckerrüben und Kartoffeln erwies sich der Boden dieser Nordinsel, die etwa dem Königreich Bayern an Areal gleichkommt, besonders geeignet. Aber für ein Betriebssystem, das für eine grössere Ackerfläche verwendbar ist, brachten die an ihre Zwergwirtschaft gewöhnten Bauern des Südens kein Verständnis mit. Die vom Grafen Kuroda geschaffene Organisation wurde 1889 aufgelöst, um diesen Fehlschlag wirtschaftlicher Betätigung nicht noch vor dem Parlamente verantworten zu müssen. Bis 1897 hatte die Auswanderung nach dem Hokkaido keinen dauernden Erfolg, weil die dorthin verpflanzten japanischen Bauern sich an ein Klima und eine Wirtschaftsweise wie die Norddeutschlands nicht gewöhnen konnten und immer wieder abwanderten. Viel verlockender war den in der Heimat nicht fortkommenden Bevölkerungsschichten die gut bezahlte Kuliarbeit, die sie auf den entlegenen Inseln der Hawaigruppe unter einem Klima des ewigen Frühlings und von subtropischer Vegetation umgeben, auf den Zuckerplantagen amerikanischer Besitzer leisten konnten. Bald überwog die japanische Bevölkerung auf der von Amerikanern ausgebeuteten und später annektierten Inselgruppe nicht nur diejenige der früher dort angesiedelten Chinesen, sondern auch die der Eingeborenen. Die regelmässigen Geldsendungen und Ersparnisse der Japaner auf Hawai erhielten auch für das Mutterland eine volkswirtschaftlich beachtenswerte Bedeutung. Bei einer jährlichen Bevölkerungszunahme von etwa 400 000 Seelen hat es an sich geringe Bedeutung, dass auf der Inselgruppe des Grossen Ozeans eine japanische Ansiedelung von 60 000 bis 70 000 Köpfen dauernd oder auf eine Zeit von zehn Jahren ein nach ihren Begriffen reichliches Auskommen fanden. Aber in der Auffassung des japanischen Volkes knüpfte sich infolgedessen an jede Auswanderung oder langjährige Sachsengängerei die Vorstellung einer für den Nationalwohlstand erfreulichen Bereicherung. Denn daran zweifelte niemand, dass auch in der Fremde die echten Söhne des Sonnenaufgangslandes ihre nationalen Sitten und ihre Anhänglichkeit an das Heimatland sowie ihre Staatsangehörigkeit sich bewahren würden.

In die seit über 20 Jahren in gleicher Richtung fortgehende Entwicklung brachte die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung seit der Eröffnung der ersten Volksrepräsentation im November 1890 zunächst eine Unterbrechung. Das japanische Parlament suchte seinen ersten Ruhm in Herabsetzung der Staatsausgaben. Statt der naturgemässen Steigerung finden wir für das erste Jahrfünft des konstitutionell gewordenen Staates eine durchschnittliche Gesamtausgabe von 80 Millionen Yen gegen 81 Millionen des Durchschnitts der unmittelbar vorangegangenen Jahre. Selbst für den Ausbau der Flotte waren von der Mehrheit des Parlaments die notwendigen Bewilligungen nicht zu erlangen. Der Kaiser und die Beamtenschaft steuerten ein Zehntel ihrer Bezüge

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/391&oldid=- (Version vom 24.12.2021)