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auf alle Fälle jeder Art anwendbaren Schiedsgerichtsvertrag, was in keiner Weise der Fall ist; wäre dies aber der Fall, dann ist der Schiedsgerichtsvertrag ein Bündnisvertrag. Von englischer und französischer Seite ist eine autoritative Erklärung über den Kernpunkt der mit den Vereinigten Staaten beabsichtigten Schiedsverträge nicht bekannt geworden. Der amerikanische Senat hat inzwischen den Verträgen eine Form gegeben, die selbst den Schein des vorbehaltlosen Obligatoriums beseitigte, somit als Ablehnung zu betrachten war und auch betrachtet wurde.

III. Die Idee des ewigen Friedens.

So bleibt bei der Betrachtung dieser grossen Probleme des internationalen Lebens immer ein ungelöster Rest; mag man ihn „nationale Politik“ oder „Ehrenklausel“ nennen, es ist im letzten Ende immer der gleiche Gedanke: die Souveränetät des Staates.

1. Die Idee, dass die Menschheit einmal friedlich wie im Paradiese neben einander wohnen und dass die Unterschiede der Völker und Staaten sich einmal auflösen werden in der Einheit der Menschheit, existiert heute höchstens noch in den Köpfen weltfremder, religiöser oder humanitärer, Schwärmer. Insbesondere darf man die weitverbreitete Bewegung des Pazifismus nicht mit jenem Vorwurf als naive Schwärmerei abtun wollen. Das wäre unrichtig und ungerecht.

2. Vielmehr hofft man die Beseitigung des Krieges durch eine „Organisation der Welt“ zu erreichen. Das ist kein neuer Gedanke. Auch Kant war sich darüber klar, dass sein Wunsch des ewigen Friedens nur auf der Grundlage der vorherigen Erfüllung jener Voraussetzung möglich sei. Und der erste bedeutende Vertreter dieses Gedankenkreises, der französische Abbé Saint Pierre, hatte ebenfalls bereits diese Erkenntnis. Und das Amt des Papstes als des von Gott verordneten arbiter mundi beruhte auf der Organisation der gesamten Christenheit durch das kanonische Recht und der arbiter wandelte sich auf dieser Grundlage zum judex mundi.

Aber wenn heute der Pazifismus sich auf diese Grundlage stellt, kann er mit vollem Recht darauf verweisen, dass heute die Voraussetzungen ganz andere seien als zu den Zeiten von Saint Pierre und selbst Kant. Post, Telegraph, Eisenbahnen, Dampfschiffe haben den Raum der christlichen Welt klein gemacht; in Millionen von Menschen und Milliarden von Werten, die über die Staatsgrenzen fluten, stehen die Staaten und Völker heute in täglichem und stündlichem Verkehr; zahllose Staatsverträge über die verschiedensten Dinge regeln diesen Verkehr und für weite Gebiete dieses Verkehres ist in den letzten Jahrzehnten in raschem Vorausschreiten an die Stelle der Verträge einzelner Staaten der grossartige Gedanke der Weltverträge und der durch sie geschaffenen Weltunionen getreten. Und ein aufmerksamer Beobachter dieser gewaltigen Bewegung wird keinen Zweifel hegen, dass diese Bewegung noch lange nicht zum Stillstand gekommen ist. Und den Rechtsnormen dieser internationalen Evolution fehlt auch die organisatorische Durchführung nicht, deren bedeutsamstes Werk bis jetzt das ständige Haager Schiedsgericht ist.

All das ist richtig und dass diese Evolution noch lange nicht abgeschlossen ist, ist ebenso zweifellos und wohin dies führen wird, ist nicht auch nur mit einiger Sicherheit zu bestimmen. Dass bei diesem Stand der Dinge der Gedanke der „Organisation der Welt“ mit neuer Gewalt hervorgetreten ist und nicht nur von den Sozialdemokraten als Bestandteil des Parteiprogrammes sondern von Männern wie d’Estournelles in Frankreich und Schücking in Deutschland als Ziel einer vielleicht nahen Zukunft vertreten wird, ist wohl begreiflich.

3. Und dennoch muss trotz aller Fortschritte der Menschheit in bezug auf den Gedanken der Organisation der Welt auch heute noch im letzten Ende die Kritik des „Weltbundesstaates“ die gleiche sein wie zurzeit von Saint Pierre und Kant. Die staatlichen Sonderaufgaben der einzelnen Völker sind noch nicht im entferntesten soweit gelöst, dass an ihre Stelle eine internationale Organisation treten könnte. Dies gilt selbst für diejenigen Völker, die wie England und Frankreich, Dank der Gunst ihrer Geschichte, oder wie die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Dank des bei der Staatsgründung bereits vorhandenen grossen Kulturkapitales fremden Ursprungs, in der Lösung der Staatsaufgaben den weitesten Vorsprung haben; für Russland wird es niemand bezweifeln; in Österreich-Ungarn sind die innerstaatlichen Probleme

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/411&oldid=- (Version vom 25.12.2021)