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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Bekämpfung unlauterer Konkurrenz usw. Mit Unrecht wird von einer Reihe von Juristen die Gemeinsamkeit der Ziele wegen des Interessengegensatzes von Arbeitgebern und Arbeitern geleugnet.[1]

Der gesetzlichen Regelung können meines Erachtens die Tarifverträge auf die Dauer nicht entbehren. Es wäre an sich schon eine Anomalie, wenn ein so wichtiges Rechtsgebiet, welches in unserem bestehenden Recht nur eine sehr unvollkommene Stütze findet, vollkommen seiner eigenen Entwicklung überlassen bleiben sollte. Das muss notgedrungen ja wieder zu der Schaffung einer Autonomie wirtschaftlicher Körperschaften führen, zu der der Deutsche so sehr neigt und die wir erst vor nicht allzu langer Zeit glücklich überwunden zu haben glaubten.

Nur durch eine gesetzliche Regelung kann der Zusammenhang der Tarifverträge mit den bestehenden Recht gewahrt und ein gefährliches Zunftwesen vermieden werden.

Abgesehen davon aber, dass die Tarifverträge nun einmal da sind, erfüllen sie somit wichtige Funktionen. Diese Aufgabe wird aber durch den bestehenden Rechtszustand erschwert. Zunächst bedarf es einer den Arbeitern auf den Leib zugeschnittenen Form für die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine, die die Hauptträger der Tarifverträge sind. Sodann stehen der Durchführung der Tarifverträge die §§ 152, 153 GO. hindernd im Wege. Sie bedürfen einer Modifikation. Schliesslich muss unser Einigungswesen, besonders durch Schaffung einer obersten Instanz, ausgebaut werden.[2]

Die ausserdem für die gesetzliche Regelung in Betracht kommenden Fragen lassen sich am besten aus dem nachstehend abgedruckten Gesetzentwurf entnehmen, den ich zum Zwecke des Studiums der Frage aufgestellt habe.[3]

Entwurf eines Gesetzes über Tarifverträge.

§ 1. Tarifverträge müssen ihr räumliches und persönliches Geltungsgebiet angeben und gesondert Rechte und Pflichten der einzelnen und der Gesamtheiten aufführen.

§ 2. Derjenige Teil eines Tarifvertrages, welcher ausdrücklich zum Inhalt künftiger Dienstverträge bestimmt ist, gilt, auch trotz entgegenstehender Arbeitsordnung bei allen zwischen den Tarifvertragsparteien geschlossenen Dienstverträgen als vereinbart.

§ 3. Die Parteien dürfen tarifwidrige Dienstverträge nicht abschliessen oder vertragswidrig dulden. – Tarifwidrige Dienstverträge zwischen den Parteien sind jederzeit fristlos kündbar.

§ 4. Neben einem Verein von Berufsgenossen, welcher deren gemeinsame wirtschaftliche Interessen als Arbeitgeber und Arbeiter verfolgt (Berufsverein) gelten seine Mitglieder als Vertragsparteien.

§ 5. Innungen stehen in Ansehung der Tarifverträge den Berufsvereinen gleich.

§ 6. Aus einem Tarifvertrage kann jeder Berufsverein, und zwar auch als Vertreter seiner Mitglieder, klagen.

§ 7. Für tarifwidrige Handlungen seiner Mitglieder haftet ein Berufsverein nur, wenn er sie veranlasst oder auf Aufforderung des Verletzten nicht verhindert hat.

§ 8. Berufsvereine können von ihren Mitgliedern fordern, dass sie ihre Tarifpflichten erfüllen.

§ 9. Ausscheiden aus einem Berufsverein befreit nicht von den Tarifpflichten.

§ 10. Bei Auflösung eines Berufsvereins haftet sein Vermögen für die Dauer des Tarifvertrages, mindestens aber noch drei Jahre. Die Auflösung gilt als Kündigung des Tarifvertrages.


  1. Sinzheimer, Gewerbe-Kaufmannsgericht XIX, will die Tarifgemeinschaften zu Organen objektiven Arbeiterrechts erheben. Das würde über die öffentlichen Korporationen zugestandene, von staatlicher Genehmigung abhängige Automie gehen und mit der ganz ungleichen Qualität der Tarifgemeinschaften nicht zu vereinbaren sein. Die Entscheidungen der Tarifinstanzen brauchen nicht lediglich auf Schiedsvertrag zu beruhen, denn die Personen, deren Rechtsstreitigkeiten entschieden werden, brauchen nicht identisch mit denjenigen zu sein, die das Schiedsgericht anrufen. Wegen der Natur der Tarifgemeinschaft vergl. R. G. Entsch. des 1. Ziv.-Sen. vom 22. 3. 1911. cf. Dass. Gewerbe- u. Kaufmannsgericht XV; 422–430.
  2. s. meine Vorschläge in meiner Schrift: Brauchen wir ein Reichseinigungsamt. S. 73–86; 145. Bericht der Petitionskommission des Reichstags 12. Leg.-Per. II. Sess. 1 1900/1911 Nr. 1219.
  3. Seine ausführl. Begründung erscheint demnächst im Verlage von Franz Vahlen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/42&oldid=- (Version vom 6.11.2021)