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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

§ 11. Tarifverträge und andere Vereinbarungen mit Gesamtheiten von Arbeitgebern oder Arbeitern über deren allgemeine Beziehungen zueinander bedürfen der Schriftform, wenn sie nicht vor dem Einigungsamte, insbesondere durch Unterwerfung unter einen Schiedsspruch, zustande gekommen sind.

§ 12. Tarifabkommen mit nicht organisierten Gesamtheiten bedürfen der alljährlich zu wiederholenden Genehmigung des Gewerbe- oder Kaufmannsgerichts. – Der Vorsitzende des Gewerbe- oder Kaufmannsgerichts kann die Ordnungsmässigkeit der Wahl der Vertreter durch einen von ihm beauftragten Beamten feststellen lassen. Dieser ist berechtigt an den Wahlversammlungen teilzunehmen.

§ 13. Die Parteien sind berechtigt und auf Erfordern verpflichtet, den Tarifvertrag beim Gewerbe- oder Kaufmannsgericht niederzulegen. Sie können dazu durch Ordnungsstrafen bis 5000 Mark angehalten werden.

§ 14. Tarifverträge von unbestimmter Dauer sind zum Ablauf des ersten, solche von mehr als fünfjähriger Dauer zum Ablauf des fünften Jahres kündbar. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monate. – Die Kündigung erfolgt an das Gewerbe- oder Kaufmannsgericht und ist durch diese der Gegenpartei mitzuteilen. – Für Mitglieder eines Berufsvereins steht nur diesem das Kündigungsrecht zu.

§ 15. Die Organe der Tarifgemeinschaft werden unter Leitung des Gewerbe- oder Kaufmannsgerichts gewählt und, wenn eine Wahl nicht zustande kommt, von diesen ernannt.

§ 16. Die Parteien können allgemein die Entscheidung von Streitigkeiten aus Dienstverträgen an Schiedsgerichte übertragen.

§ 17. Die Entscheidungen der Tarifschiedsgerichte sind rechtskräftig, wenn nicht binnen einer Notfrist von zwei Wochen die gerichtliche Klage erhoben wird.

§ 18. Die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte sind für Klagen aus dem Tarifverträge zuständig. Die Berufung geht an das Oberlandesgericht, wenn der Beschwerdegegenstand 2500 Mark übersteigt.[1]

§ 19. Gewerbliche Kampfmittel zwischen den Parteien sind mangels anderer Vereinbarung nur zulässig, um eine im Verzuge befindliche Partei zur Erfüllung anzuhalten.

§ 20. Das Prozessgericht erster Instanz kann nötigenfalls zwecks Vollstreckung einer Forderung aus dem Tarifvertrag nach Anhörung des Schuldners erkennen: 1. dass der Schuldner von der Übernahme von Lieferungen für das Reich, einen Bundesstaat oder Gemeindeverband oder der Arbeit für diese ausgeschlossen wird; 2. dass eine Versammlung bei Vermeidung der Auflösung nicht über ein Kampfmittel gegen den Gläubiger beraten oder beschliessen darf; 3. dass der Schuldner unbeschadet seiner Verpflichtungen aus einem Berufsverein ausgeschlossen wird; 4. dass ein Berufsverein aufgelöst wird, wenn er, ohne dazu ausserstande zu sein, der vollstreckbaren Forderung binnen angemessener Frist nicht genügt.

§ 21. Um die Zwangsvollstreckung zur Vornahme, von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen auf Grund eines Tarifvertrages kann das Gericht die Polizeibehörde ersuchen.

§ 22. Bei Entscheidungen auf Grund von § 20 haben die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte Beisitzer zuzuziehen.

§ 23. Entscheidungen auf Grund von § 201 sind im Reichsanzeiger zu veröffentlichen.

§ 24. Die Vorstände von Berufsvereinen sind zur Mitwirkung bei der Zwangsvollstreckung gegen Vereinsmitglieder verpflichtet.

§ 25. Die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte sind auch für Rechtsstreitigkeiten auf Grund des Tarifvertrages mit Berufsvereinen je nach der Eigenschaft ihrer Mitglieder zuständig. Der Sitz eines Vereins tritt an Stelle des Wohnsitzes.

§ 26. Die Parteien können die örtliche Zuständigkeit vereinbaren.

§ 27. Wenn ordentliche und Sondergerichte oder Gewerbe- und Kaufmannsgerichte zugleich zuständig sind, schliessen die Sondergerichte die ordentlichen, das Gewerbegericht das Kaufmannsgericht aus. – Sind danach mehrere Gerichte zuständig, so bestimmt das gemeinsame Obergericht das zuständige Gericht.


  1. Als oberste Instanz würde hier künftig ein Reichseinigungsamt zu entscheiden haben.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/43&oldid=- (Version vom 6.11.2021)