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Welche Bedeutung dem Krankenversicherungsrechte zukommt, sei an einigen Zahlen illustriert. Schon 1909 betrugen die Leistungen der Krankenkassen ohne die Knappschaftskassen 305 710 294 M. Im Jahre 1909 gab es im Deutschen Reiche. 23 279 Kassen mit 12 519 785 Mitgliedern. Andere zählen 13,4 Millionen Versicherte. Die Zahl der Kassen wird nach Inkrafttreten der R.V.O. infolge der Zentralisation sinken – ich rechne etwa 10 000 – die Zahl der Mitglieder der Kassen erhöht sich aber auf 20 Millionen. Für fast ein Drittel des Deutschen Volkes gilt das Recht der Krankenversicherung.

III. Die Reformen im Unfallversicherungsrecht.

     Ausdehnung des Kreises der Versicherungspflichtigen.

Hervorgehoben seien die gewerbsmässigen Fahr-, Reittier- und Stallhaltungsbetriebe, sowie das Halten von anderen Fahrzeugen als Wasserfahrzeugen, wenn sie durch elementare oder tierische Kräfte bewegt werden sowie das nicht gewerbsmässige Halten von Reittieren. Man denke an Privatkraftwagen, Segel- und Motorboote, an Reit-, Renn- und Fahrbahnen, Reit- und Fahrschulen, an den Betrieb von Zirkusbesitzern, aber auch an Luftschiffer jeder Art. Sodann werden auch die Betriebe unfallversicherungspflichtig gemacht, die der Behandlung und Handhabung der Ware dienen. Nicht nur die „Lagerungsbetriebe“ sind hierunter begriffen, sondern auch Verrichtungen, die dem technischen Teile des Betriebes angehören, zu der unversicherten Verkaufstätigkeit in näherer Beziehung stehen, wie das Herbeiholen der Waren aus dem Lager, das Vorlegen und Vorzeigen der Ware zum Zwecke des Verkaufes, das Hantieren mit der Ware während der Verkaufsverhandlungen, das Abmessen, Abwägen, Verpacken oder Bereitstellen der Ware zum Zwecke des Verpackens, die Übergabe der Ware an den Käufer, das Zurücklegen der unverkauften oder nicht passenden Ware in das Lager usw. Die Unfallgefahr ist erfahrungsgemäss bei diesen nicht als ausgeschlossen anzusehen und dem Lagerungsbetriebe nahe verwandt. Dass jedoch die R.V.O. die Ausdehnung der Versicherungspflicht nur bei Unternehmungen ausgesprochen hat, die über den Umfang des Kleinbetriebes hinausgehen, halte ich für einen Fehler. Denn auch im Kleinbetriebe kann sich bei einer der angegebenen Tätigkeiten der Unfall ereignen. Dass auch die mit Lagerung von Waren verbundenen Konsumgenossenschaften ihre Arbeiter versichern müssen, scheint danach zweifellos. Das war bisher nicht der Fall, weil die Genossenschaften nicht im Handelsregister, sondern im Genossenschaftsregister eingetragen werden. Es sind ferner in Zukunft nicht nur die eigentlichen Lagerungsarbeiten, sondern auch ähnliche Arbeiten in kaufmännischen Unternehmungen mitbetroffen, jedoch bleibt unversichert die Kontor-, Kassen- oder Reisetätigkeit. Neu ist auch die Bestimmung, dass der Versicherung Binnenschiffahrts-, Flösserei-, Prahm- und Fährbetriebe nicht nur unterliegen sollen, sofern sie gewerbsmässig betrieben, sondern auch, soweit sie vom Reich, einem Bundesstaate, einer Gemeinde, einem Gemeindeverband oder einer anderen öffentlichen Körperschaft verwaltet werden. Neu aufgenommen ist als versicherungspflichtig ferner noch die gewerbsmässige Fischzucht, Teichwirtschaft und Eisgewinnung sowie das Halten von Fahrzeugen auf Binnengewässern. Es wurde schliesslich die Binnenschiffahrt versicherungspflichtig gemacht, der Speditions-, Speicher-, Lagerei- und Kellereibetrieb auch dann, wenn er nicht gewerbsmässig betrieben wird.

Was unter den der Versicherung unterliegenden Fabriken zu verstehen ist, hat schon das gewerbliche U.V.G. (§ 2) in seiner zuletzt geltenden Fassung festzustellen unternommen. In teilweiser Herübernahme dieser Normen, aber vor allem in zweckmässiger Erweiterung wird in der R.V.O. bestimmt, dass als Fabriken gelten Betriebe, die erstens gewerbsmässig Gegenstände verarbeiten oder bearbeiten und hierzu mindestens 10 Arbeiter regelmässig beschäftigen, zweitens gewerbsmässig Sprengstoffe oder explodierende Gegenstände erzeugen oder verarbeiten oder elektrische Kraft erzeugen oder weitergeben, drittens nicht bloss vorübergehende Dampfkessel oder von elementarer oder tierischer Kraft bewegte Triebwerke verwenden, viertens vom Reichsversicherungsamte den Fabriken gleichgestellt werden (§ 538). Der Versicherung unterliegen auch

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/56&oldid=- (Version vom 7.11.2021)