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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

andere Betriebe, wenn sie wesentliche Bestandteile oder Nebenbetriebe der versicherungspflichtigen Betriebe sind. § 539 bestimmt einige Ausnahmen für die Landwirtschaft und für die Seeschiffahrt. Der gewerblichen Unfallversicherung unterliegen Seeschiffahrt und andere seeunfallversicherungspflichtige Betriebe, die Nebenbetriebe sind, nicht (§§ 539 bis 541, 1046, 1049). Die Kommission hat die Seeschiffahrt, soweit sie Nebenbetrieb eines gewerblichen Betriebes ist, der Seeunfall-Berufsgenossenschaft zugewiesen.

Auf dem Gebiete der freiwilligen Versicherung kann nach § 553 die Satzung bestimmen, dass sie ausser Kraft tritt, wenn der Beitrag trotz Mahnung nicht bezahlt worden ist, und dass eine Neuanmeldung solange unwirksam bleibt, bis der rückständige Beitrag entrichtet worden ist. Diese zum Schutze der Versicherungsträger gedachte Vorschrift kann man wohl billigen. Für die höher gelohnten Schichten ist im Gesetz besondere Fürsorge getroffen. Es erstreckt sich die Versicherung auf häusliche, und andere Dienste, zu denen Versicherte, die hauptsächlich im Betriebe oder bei versicherten Tätigkeiten beschäftigt sind, von dem Unternehmer oder dessen Beauftragten herangezogen werden (§ 546). Ja, es können sich Unternehmer, d. h. diejenigen Personen, für deren Rechnung der Betrieb geht, sowie Binnenlotsen, die ihr Gewerbe für eigene Rechnung betreiben, gegen die Folgen von Betriebsunfällen selbst versichern, wenn sie nicht mehr als 3000 M Jahresarbeitsverdienst haben oder wenn sie regelmässig keine oder höchstens zwei Versicherungspflichtige gegen Entgelt beschäftigen. Die Satzung kann sie zur Selbstversicherung aber auch dann zulassen, wenn sie mehr als 3000 Mark Jahresarbeitsverdienst haben oder regelmässig wenigstens drei Versicherungspflichtige gegen Entgelt beschäftigen (§ 550). Bemerkenswert ist auch, dass die freiwillige Selbstversicherung unter gewissen Voraussetzungen gestattet ist für den im Betriebe tätigen Ehegatten. Es wird also hier der Ehegatte als Mitunternehmer angesehen (§ 551 R.V.O.).

Gegenstand der Versicherung ist der Ersatz des Schadens, der durch Körperverletzung oder Tötung entsteht. Dem Verletzten oder seinen Hinterbliebenen steht kein Anspruch zu, wenn sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt haben (§§ 555, 556). Das ist selbstverständlich. Aber die Kommission hat besonders hinzugefügt, dass Fahrlässigkeit selbst grober Art oder verbotswidriges Handeln den Ersatz des Schadens nicht ausschliessen soll. Die Verletzung der bergpolizeilichen Verordnungen soll auch nicht als Vergehen im Sinne des Gesetzes, sodass Schadensersatz ganz oder teilweise versagt werden könnte, gelten. Eine entsprechende Bestimmung wurde auch in das nächste, vierte Buch eingefügt. Im § 544 Abs. 2 steht jetzt, dass verbotwidriges Handeln die Annahme eines Betriebsunfalls nicht ausschliesst, im § 557, dass dem Verletzten der Schadensersatz ganz oder teilweise versagt werden kann, wenn er sich den Unfall bei Begehung einer Handlung zugezogen hat, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist, dass als ein solches aber die Verletzung bergpolizeilicher Verordnungen nicht gilt. Die Stellungnahme zu diesen Neuerungen ist nicht leicht. Sie gehen sozialpolitisch sehr weit. Man verfolgte offenbar die Absicht, einer dem Versicherten ungünstigen Entscheidung vorzubeugen, die sich auf Fahrlässigkeit stützen würde. Da hat man denn selbst grobe Fahrlässigkeit nicht als einen Grund zum Ausschlusse von den Wohltaten des Gesetzes angesehen. Ganz ohne Bedenken ist dies ebensowenig, wie die Unschädlichkeit des verbotswidrigen Handelns. Geht doch dieses Verbot von dem Arbeitgeber aus, der Mitglied der die Lasten tragenden Berufsgenossenschaft ist, und der demnach die Kosten des Unfalles auch dann tragen muss, wenn sich der Arbeiter gegen seine oder seines Vertreters Befehle auflehnt und sich hierbei verletzt hat. Doch ist dies schliesslich keine Rechtsfrage, sondern eine solche der sozialpolitischen grösseren oder geringeren Weitherzigkeit. Unter den Gewährungen bietet die Rente die wichtigste. Sie wird nach dem Entgelt berechnet, den der Verletzte während des letzten Jahres im Betriebe bezogen hat. Soweit der Jahresarbeitsverdienst über 1800 Mark steigt, kommt er nur mit ⅓ zur Anrechnung (§ 563).

Eine wichtige. Vorschrift betrifft die Erweiterung des bisherigen § 12 Abs. 1 Satz 2 G.U.V.G., den sog. Krankengeldzuschuss. Diesen hat, sofern dem Verletzten über die 13. Woche hinaus eine Entschädigung zu leisten ist, die Berufsgenossenschaft, andernfalls der Unternehmer zu ersetzen. Die Genossenschaftssatzung kann bestimmen, dass die Berufsgenossenschaft den Krankengeldzuschuss in allen Fällen zu ersetzen hat. Entsprechend gilt diese Vorschrift, soweit dem Verletzten, der gegen Krankheit versichert ist, ein Anspruch auf Krankenunterstützung nicht

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/57&oldid=- (Version vom 7.11.2021)