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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

nicht nur über die ihnen auf erlegten Lasten bitter klagen, sondern auch die Schwierigkeiten der Einziehung der Beträge betonen und auf die Zahl der gestellten Zwangseinziehungsanträge hinweisen.

Die R.V.O. hat von der letzteren Möglichkeit abgesehen, dagegen aber auch von einer nur mittelbaren Beeinflussung der Entscheidung der Berufsgenossenschaften in gewissen Fällen durch die versicherten Beisitzer im Versicherungsamt, wie sich das beim Zusammenwirken von Versicherungsamt und Versicherungsträger ergeben hatte.

Der Weg, auf dem die Erlangung der Rente erreicht wird, entspricht einigermassen dem jetzigen Rechtszustande. Den Beginn des Verfahrens bildet regelmässig die Unfallanzeige des Unternehmers. Hierauf folgt die polizeiliche Unfalluntersuchung, die nicht auf die Versicherungsämter übertragen wurde. Wohl aber kann der Berechtigte die Untersuchung bei dem Versicherungsamte beantragen. Festzustellen sind: 1. die Veranlassung, Zeit, Ort, Hergang und Art des Unfalles, 2. die getötete oder verletzte Person, 3. die Art der Verletzung, 4. der Verbleib des Verletzten, 5. die Hinterbliebenen des Getöteten und die Angehörigen des Verletzten, die eine Entschädigung gemäss der R.V.O. beanspruchen können, 6. die Höhe von Unterstützungen und Renten, die der Verletzte aus der Reichsversicherung bezieht. Der von anderer Seite gemachte Vorschlag ist nicht berücksichtigt worden, dass die untersuchende Polizeibehörde verpflichtet sein soll, Zeugen, die nicht in ihrem Bereich wohnen, ohne weiteres, d. h. ohne besonderen Antrag des Versicherungsträgers, durch Inanspruchnahme der Polizeibehörde ihres Wohnortes vernehmen zu lassen. Heute ist die Polizeibehörde hierzu in der Regel nicht zu bewegen. An der Unfalluntersuchung können teilnehmen oder sich dabei vertreten lassen: Der Verletzte oder seine Hinterbliebenen, der Träger der Unfall- und Krankenversicherung, der Betriebsunternehmer, das Versicherungsamt sowie bei Unfällen in Betrieben, die der Gewerbeaufsicht unterliegen, der staatliche Aufsichtsbeamte (§ 139 b Gew.O.). Diesen ist vom Zeitpunkte der Untersuchung rechtzeitig Kenntnis zu geben. Ist die beteiligte Genossenschaft in Sektionen geteilt, oder hat sie Vertrauensmänner bestellt, so erhält der Sektionsvorstand oder der Vertrauensmann Mitteilung von dem Zeitpunkte der Untersuchung. Zu dieser sollen auch die sonstigen Beteiligten hinzugezogen werden. Die Ortspolizeibehörde stellt den Sachverhalt fest. Sie kann Ermittelungen jeder Art anstellen. Die Ortspolizeibehörde hat die Untersuchungsverhandlungen nach dem Abschluss unverzüglich dem Versicherungsträger zu übersenden. Die Erteilung des Bescheides ist in Abweichung von dem Vorentwurfe (1909) in allen Fällen in die Hände des Versicherungsträgers gelegt . Damit will man die erhobenen Bedenken, wie Zersplitterung des Verfahrens, Erschwerung des Heilverfahrens, Verzögerungen, namentlich auch bei der Gewährung von Vorschüssen an die Verletzten und ihre Hinterbliebenen beseitigen. Über die Feststellung der Entschädigung wird von dem Versicherungsträger ein Bescheid erteilt, gegen den binnen einem Monat Einspruch stattfindet und der eine entsprechende Belehrung enthalten muss. Bei Einspruch wird der Verletzte im Falle der vorläufigen und ersten Dauerrente nach Wahl des Versicherungsträgers vor das Feststellungsorgan oder das V.A., im Falle der Veränderung einer Dauerrente vor das V.A. vorgeladen, erscheint der Verletzte nicht, so wird Endbescheid erteilt; erscheint er, so wird mit ihm verhandelt. Es können Ermittelungen angestellt werden. Der Versicherte kann – bei entsprechender Vorschussleistung – Anhörung eines von ihm bezeichneten Arztes verlangen. Bei vorläufiger und erster Dauerrente kann das V.A. sich bei Rückgabe der Akten an den Versicherungsträger zur Sache äussern, bei Veränderung von Dauerrenten muss es nach nicht öffentlicher mündlicher Verhandlung unter Mitwirkung je eines Vertreters der Arbeitgeber und der Versicherten ein Gutachten über das nach seiner Ansicht für die Entschliessung des Versicherungsträgers Bedeutsame abgeben, wobei etwaige abweichende Meinungen der Versicherungsvertreter zu vermerken sind. Erst dann wird vom Versicherungsträger – nötigenfalls nach weiterer Beweiserhebung – in freier Entschliessung Endbescheid erteilt. Dieser ist mit der Berufung, die Entscheidung des O.V.A. in gewissem Umfange mit dem Rekurs an das R.V.A. (L.V.A.) anfechtbar. Dabei ist aber die Zahl der Fälle, in denen noch Rekurs gegeben ist, wesentlich eingeschränkt. Denn der Rekurs ist jetzt ausgeschlossen, wenn es sich handelt um 1. Krankenbehandlung oder Hauspflege, 2. Renten für eine Erwerbsunfähigkeit, die zur Zeit der Entscheidung des Rekursgerichts oder nach rechtskräftiger Feststellung vorübergegangen ist, 3. Rententeile, die bei dauernder Erwerbsunfähigkeit für begrenzte und bereits

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/60&oldid=- (Version vom 7.11.2021)