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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Rest der Zinsen ist der Rücklage solange zuzuschlagen, bis diese der Hälfte des Deckungskapitals für die jeweiligen Entschädigungspflichten gleichkommt. In besonderen Fällen kann das Reichsversicherungsamt bestimmen, welcher Teil der Zinsen zur Minderung der Umlage zu verwenden und welcher der Rücklage zuzuführen ist. Es bestimmt auch, wie der Kapitalwert der Entschädigungspflichten zu ermitteln ist.

Die besondere Form der Bauunfallversicherung ist in der R.V.O. beseitigt. Man hat jene in die gewerbliche Unfallversicherung hineingearbeitet. Es sind deshalb für Bauarbeiten die sogen. Zweiganstalten vorgesehen (§§ 783ff.), übrigens auch für das Halten von Reittieren und Fahrzeugen (§§ 836ff.) Bei der Zweiganstalt, die einer Berufsgenossenschaft von Baugewerbetreibenden angeschlossen ist, sind die Personen versichert, die ein Unternehmer nicht gewerbemässiger Bauarbeiten im Bezirke der Genossenschaft bei solchen Arbeiten beschäftigt. Das gleiche gilt von den selbstversicherten Unternehmern solcher Bauarbeiten. In der Zweiganstalt werden versichert: Bauarbeiter 1. auf Kosten des Unternehmers gegen feste Prämien, nach einem Prämientarif, wenn für einzelne Arbeiten mehr als 6 Arbeitstage verwendet worden sind, (längere Bauarbeiten); 2. auf Kosten der Gemeinden oder gewisser Verbände, über deren Bezirke sich die Genossenschaft erstreckt, gegen Beiträge, die auf diese Gemeinden oder Verbände nach dem Bedarfe des abgelaufenen Geschäftsjahres jährlich umgelegt werden, wenn für die einzelne Arbeit höchstens 6 Arbeitstage verwendet werden (kurze Bauarbeiten). – Für die Versicherung von Personen, die bei nicht gewerbemässigem Halten von Reittieren und von Fahrzeugen beschäftigt werden sowie der freiwillig versicherten Unternehmer dieser Art sind Anstalten nötig, bei denen die Mittel zur Deckung der Unfallasten nach dem Prämienverfahren aufgebracht werden. Die neuen Zweiganstalten sollen mit den Berufsgenossenschaften für Fuhrwerk und Binnenschiffahrt verbunden werden. In der Zweiganstalt der Binnenschiffahrt-Berufsgenossenschaften werden alle zu Wasser sich bewegenden Fahrzeuge versichert, insbesondere alle privaten Motorboote. Für die Versicherung der Privatfuhrwerke, insbesondere der Automobile und der Luftschiffe, sowie des bei dem Halten von Reittieren seitens Privatpersonen beschäftigten Personals sollen dagegen eine oder mehrere Zweiganstalten bei der Feuerwerksberufsgenossenschaft errichtet werden. Den Berufsgenossenschaften ist die Möglichkeit gegeben, Einrichtungen zu treffen zur Beschaffung von Arbeitsgelegenheit für Unfallverletzte. Letzteres wird als berechtigt vielfach anzuerkennen sein. Die Klagen der teilweise Invaliden sind häufig berechtigt. Sie bekommen sehr schwer Arbeit. Nach den Beschlüssen der Kommission sollen diese Teilinvaliden nicht gezwungen sein, die ihnen nachgewiesene Arbeitsgelegenheit zu benützen. Machen sie keinen Gebrauch davon, so darf ihre Rente deshalb nicht gekürzt werden. Unter dem Titel „Weitere Einrichtungen“ sind in § 843 zugelassen: Die Schaffung von Rentenzuschuss- und Ruhegehaltskassen für Betriebsbeamte, Mitglieder der Genossenschaft, Versicherte, Genossenschaftsbeamte sowie für die Angehörigen dieser Personen. Auch bleibt den Berufsgenossenschaften belassen das Recht, eine Haftpflichtversicherung für die Unternehmer einzurichten. Die Vorlage hatte bestimmt, dass Haftpflichtansprüche aus der reichsgesetzlichen Unfallversicherung höchstens mit ⅔ gedeckt werden dürfen, die letztere Bestimmung hat die Kommission gestrichen.

Die landwirtschaftliche Unfallversicherung ist hinsichtlich des Kreises ihrer Berechtigten erweitert worden. Die Friedhofbetriebe, Gärtnerei, Park- und Gartenpflege sind einbezogen worden. Gegen Unfälle sind versichert: 1. Arbeiter, 2. Facharbeiter, 3. Betriebsbeamte, deren Jahresarbeitsverdienst 5000 Mark nicht übersteigt. Die Kommission hat den Begriff „Facharbeiter“ neu eingefügt. Im Unterschiede zu dem gewöhnlichen landwirtschaftlichen Arbeiter wird darunter derjenige verstanden, der für seine Stellung besonderer fachlicher Fertigkeiten bedarf, z. B. Förster, Gärtner, Gärtnereigehilfen, Müller, Ziegler, Stellmacher, Schmiede, Maurer, Zimmerer, Brenner, Maschinenführer, Heizer und andere. Für solche Arbeiten wird die Unfallrente nach dem tatsächlichen Arbeitsverdienste, nicht nach dem ortsüblichen Tagelohn berechnet. Im übrigen hat den durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst das Oberversicherungsamt nicht nur für Männer und Frauen getrennt festzustellen, sondern auch für Versicherte über und unter 10 Jahren, für solche von 10–21 Jahren und für diejenigen, die über 21 Jahre alt sind.

Der Massstab für die Aufbringung der Mittel ist der des Arbeitsbedarfes und der Gefahrenklassen, sowie des Steuerfusses (§§ 991 ff., 997ff.).

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/62&oldid=- (Version vom 7.11.2021)