Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/64

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Die durch die Zusatzmarke erworbene Anwartschaft erlischt nicht. Die Zusatzrente wird gezahlt, solange die Invalidität dauert; sie wird voll ausgezahlt, entweder zusammen mit der Invalidenrente oder für sich. Beträgt die Zusatzrente nicht mehr als 60 Mark jährlich, so ist den Berechtigten auf ihren Antrag an Stelle der laufenden Zusatzrente eine einmalige Abfindung in Höhe des Kapitalwertes der Zusatzrente zu gewähren. Nach der Begründung bietet eine solche Zusatzversicherung jedem Handwerker usw. die Möglichkeit, seinen Rentenanspruch ohne finanziellen Nachteil für die Versicherungsträger und ohne Mehrbelastung des Reiches nach Bedarf zu erhöhen. Eine finanzielle Gefahr für den Versicherungsträger ist um deswillen ausgeschlossen, weil die Höhe der Rente um so geringer ausfällt, je früher die Invalidität eintritt. Die Bemessung der Höhe der Rente bietet einen Ausgleich des Invaliditätsrisikos. Bei der solchergestalt vorgenommenen Regelung ging man davon aus, dass es möglich ist, neue Lohnklassen der Invalidenversicherung anzufügen, ohne in finanzieller und versicherungstechnischer Beziehung Gefahr zu laufen. Nach § 1248 kann der Versicherte die Versicherung in einer höheren als der ihm nach dem Jahresarbeitsverdienst zukommenden Lohnklasse in Anspruch nehmen.

Gegenstand der Versicherung sind Invaliden- und Altersrenten. Invalidenrente erhält ohne Rücksicht auf das Lebensalter der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen dauernd invalide ist. Der Begriff der Invalidität ist in Übereinstimmung mit dem geltenden dahin formuliert, dass vorausgesetzt ist, jemand sei nicht mehr imstande, durch eine Tätigkeit die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden kann, ein Drittel dessen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art und ähnlicher Ausbildung, in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. Altersrente erhält der Versicherte vom vollendeten 70. Lebensjahre an, auch wenn er noch nicht invalide ist. Der Wunsch, die zeitliche Grenze für den Bezug der Altersrente von 70 auf 65 oder weiter auf 60 Jahre herabzusetzen, hat den Reichstag viel beschäftigt; er war aber unerfüllbar. Die Regierung meinte, es werde bei diesem Wunsche zunächst von einer Überschätzung der Bedeutung der Altersrente ausgegangen. Die Altersrenten treten schon jetzt sehr wesentlich hinter den Invalidenrenten zurück, und ihre Bedeutung werde in der weiteren Entwicklung noch mehr abnehmen. Es wurde einwandfrei berechnet, dass bei Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre die Zahl der Altersrentenempfänger sich um 176 655, bei Herabsetzung auf 60 Jahre um 495 936 erhöhen würden. Bei Zugrundelegung der durchschnittlichen Altersrente von 161.64 Mark ergäbe sich eine jährliche Mehrbelastung durch Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre im Betrage von 28 554 514 Mark, auf 60 Jahre von 80 163 095 Mark. Immerhin enthält Art. 84 E.G. die Verpflichtung des Bundesrats, im Jahre 1915 dem Reichstage die gesetzlichen Vorschriften über die Altersrente zur erneuten Beschlussfassung vorzulegen.

Eine der wichtigsten Fragen ist die des Erlöschens der Anwartschaft. Dies sollte nach § 1266 eintreten, wenn während zweier Kalenderjahre weniger als 20 Wochenbeiträge auf Grund der Versicherungspflicht oder der Weiterversicherung entrichtet worden sind. Die Kommission hat die Bestimmung mit der Änderung angenommen, dass statt des Wortes Kalenderjahr gesetzt wird „Jahre nach dem auf der Quittungskarte bezeichneten Ausstellungstage“. Noch wichtiger ist die Frage des Auflebens der Anwartschaft. Sie war von der Vorlage dann zugelassen, wenn der Versicherte wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt und danach eine Wartezeit von 200 Beitragswochen zurücklegt. Im Reichstag ist der Gedanke durchgedrungen, dass auch durch freiwillige Beitragsleistung das Versicherungsverhältnis soll erneuert werden können. Jetzt gilt nach § 1269, dass, wenn der Versicherte das 60. Lebensjahr vollendet hat, die Anwartschaft nur auflebt, wenn er vor dem Erlöschen der Anwartschaft mindestens 1000 Beitragsmarken verwendet hatte. Hat der Versicherte das 40. Lebensjahr vollendet, so lebt die Anwartschaft durch freiwillige Beitragsleistung nur auf, wenn er vorher mindestens 100 Beitragsmarken verwendet hatte und danach eine Wartezeit von 500 Beitragswochen zurücklegt. Neu ist auch die sogen. Kinderzuschussrente: Hat der Empfänger der Invalidenrente Kinder unter 15 Jahren, so erhöht sich die Invalidenrente für jedes Kind um bis zu dem höchstens anderthalbfachen Betrage. Es ist dies wegen der finanziellen Tragweite ganz besonders wichtig.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/64&oldid=- (Version vom 7.11.2021)