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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Sachen des Spruchverfahrens. Die Spruchkammer besteht aus einem Mitgliede des O.V.A. als Vorsitzenden und je 2 Beisitzern der Arbeitgeber und Versicherten.

Das Reichsversicherungsamt soll in seiner Organisation im wesentlichen unverändert bleiben. Es ist oberste Spruch-, Beschluss- und Aufsichtsbehörde. Die Zahl der nicht ständigen Mitglieder aus den Arbeitgebern und Versicherten beträgt 32. Davon: 8 vom Bundesrat ernannte, 12 Arbeitgeber und 12 Versicherte. Die Spruchsenate werden aus 7 Mitgliedern bestehen: Aus dem Vorsitzenden, einem vom Bundesrat gewählten, nicht ständigen, einem ständigen Mitglied, zwei hinzugezogenen richterlichen Beamten, einem Arbeitgeber und einem Versicherten. Ausser den Spruchsenaten werden Beschlusssenate mit 5 Mitgliedern gebildet werden, um den Aufbau des Reichsversicherungsamtes mit den unteren und mittleren Versicherungsbehörden gleichmässig zu gestalten, die im übrigen auch den Zweck erfüllen, dem Missstande abzuhelfen, wonach die Mitwirkung und der Einfluss der Bundesratsmitglieder und der Laienmitglieder bei Erledigung der Verwaltungsangelegenheiten erheblich zurückgetreten war. In den Beschlusssenaten wirken nicht wie in den Spruchsenaten richterliche Beamte mit, sondern es tritt an deren Stelle ein ständiges Mitglied des Reichsversicherungsamtes. Der verstärkte Senat der Abteilung für Invalidenversicherung (§ 22 der Kaiserl. Verordnung vom 10. Oktober 1900) fällt als entbehrlich ebenso weg, wie die kleinen Senate zur Zurückweisung von Rekursen, die bedeutungslos geblieben sind. Der bisherige erweiterte Senat soll auch künftig mit 11 Personen besetzt sein, und Grosser Senat heissen; es treten jedoch noch zwei ständige Mitglieder von Landesversicherungsämtern hinzu, wenn ein Landesversicherungsamt von einem veröffentlichten Rechtsgrundsatze des Reichsversicherungsamtes abweichen will. Das Landesversicherungsamt kann in den durch das Gesetz vorgeschriebenen Fällen an die Stelle des R.V.A. treten. Neue L.V.Ämter können aber nicht mehr errichtet werden; soweit sie bisher errichtet sind, können sie nur bestehen bleiben, solange zum Bereiche des einzelnen Amtes mindestens vier O.V.-Aemter gehören.

Der Wert der bezeichneten Neuregelungen liegt in der Aufrechterhaltung und Kontinuität des bisherigen Rechtszustandes; tiefgehende Umwälzungen werden vermieden, die Struktur der Arbeiterversicherung bleibt im wesentlichen dieselbe. Gleichwohl wird eine Reihe von Verbesserungen herbeigeführt, die ehedem nur von einer Verschmelzung der Versicherungszweige erwartet worden sind; es wird eine Kodifikation in die Wege geleitet, die Bahn bricht für ein innerlich geschlossenes deutsches Arbeiterrecht. Die nicht minder wichtige andere Hälfte wird nach und nach aus der Gew.O., deren Rahmen sie je länger je mehr sprengt, herausgehoben und verselbständigt werden müssen. Versicherungs- und Schutzrecht zusammen werden ein neues Arbeiterrecht schaffen das rechts- und sozialpolitisch mit der ganzen Stosskraft eines in sich geschlossenen, dem B.G.B. an Umfang und Bedeutung nicht nachstehenden Gesetzeswerkes, einen mächtigen Einschlag in das Kulturleben der Gegenwart bringen wird. Durch die staatsmännisch kluge Ablehnung der extremen Forderung einer Verschmelzung aller drei Versicherungszweige wird, ohne Schaden für die Versicherungsfrage, dem sozialen Frieden gedient, indem die den Trägern der Unfall- und Invalidenversicherung drohenden Ungerechtigkeiten in dieser Richtung vermieden werden. Einer in bezug auf die Erhöhung und Verbesserung der Leistungen segensreichen Entwickelung jedes einzelnen Versicherungszweiges für sich wird kein unnatürliches und gefährliches Hemmnis in den Weg gelegt. Durch die reichere Beteiligung des Laienelementes in den drei Stufen der Versicherungsämter, die nur bei einer Annäherung der verschiedenen Zweige möglich geworden ist, ist ein auch vom politischen Standpunkte aus wichtiger Fortschritt zu verzeichnen.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/68&oldid=- (Version vom 7.11.2021)