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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

und der weiträumigen Bebauung hinzuwirken suchte, weil man auch für die grosse Masse der Bevölkerung eine, weiträumige, den ländlichen Verhältnissen sich annähernde Bauweise mit kleinen Häusern als das Ideal ansah. Während früher für die Bauordnungen nur technische und hygienische Erwägungen massgebend waren, sind infolgedessen, zumal seit den 90er Jahren, wirtschaftliche Gesichtspunkte in ihnen immer stärker hervorgetreten und haben in dem Erlass scharfer Baubeschränkungen, die über das aus hygienischen Gründen notwendige Mass oft weit hinausgehen, insbesondere teilweise eine aus hygienischen Gründen nicht zu rechtfertigende Vorliebe für die „offene“ Bauweise zeigen, ihren äusseren Eindruck gefunden. Eine der ersten Bauordnungen dieser Art war die 1891 in Frankfurt a. M. erlassene, die dann 1897 sowie 1907 noch weitere Verschärfungen erfuhr. Aber auch in zahlreichen anderen Städten ist man auf diesem Wege zum Erlass von sog. Zonenbauordnungen gekommen, welche für die einzelnen Viertel je nach ihrem besonderen Charakter eine verschiedene Intensität der Bebauung festsetzen, und manche Bundesstaaten, wie Sachsen, Baden, Württemberg, haben gleich für das ganze Staatsgebiet nach Ortsgrössenklassen abgestufte Bauordnungen erlassen.

In der Tat ist nun, wenn man in einem Lande, wo die Wohnsitten der Bevölkerung dem Übergang zum Hochbau kein Hinderniss in den Weg stellen, auch in den grossen Städten einzelnen Vierteln eine mehr landhausmässige Bebauung sichern und auch mittleren Einkommensstufen den Erwerb eines Einfamilienhauses noch ermöglichen will, hierzu der Erlass von Baubeschränkungen als das geeignete Mittel anzuerkennen. Denn sonst steigen die Bodenpreise allgemein auf eine Höhe, welche den Bau von Kleinhäusern unerschwinglich teuer macht und die Bauunternehmer zur Errichtung mehrstöckiger Gebäude zwingt. Die Politik der Baubeschränkungen hat also die Macht, die Bodenpreise künstlich niedrig zu halten. Falsch ist es aber, hieraus den Schluss zu ziehen, dass man durch Baubeschränkungen auch die Wohnungspreise allgemein verbilligen könne.[1] Die Niedrighaltung der Bodenpreise durch Beschränkung der zulässigen baulichen Ausnutzung der Grundstücke bedeutet noch nicht auch niedrige Wohnungspreise; der auf die Einheit der Wohnfläche entfallende Anteil am Bodenpreis, der hierbei doch entscheidend ist, wird vielmehr durch Baubeschränkungen leicht erhöht, und Baubeschränkungen können ferner sogar die Wirkung haben, das Bauen ganz unmöglich, d. h. unrentabel zu machen. Diese Erfahrung hat man gerade in Frankfurt a. M. mit besonders scharfen Baubeschränkungen in einigen Aussenbezirken gemacht und das hat auch dazu geführt, dass 1910 eine Revision der Frankfurter Bauordnung vorgenommen wurde, die verschiedene Erleichterungen im Vergleich zu früher gewährte. Die Erwartung, welche man früher von der Politik der Baubeschränkungen vielfach hegte, dass sie auch das Wohnen verbilligen werde, muss man daher fallen lassen, es muss im Gegenteil mit einer wohnungsverteuernden Wirkung dieser Politik gerechnet werden. Daher haben gerade auch Hygieniker von dem Standpunkt aus, dass es weniger auf die Weiträumigkeit der Bebauung als auf die Geräumigkeit des Wohnens ankommt, auf das Gefährliche dieser Politik warnend hingewiesen, so auf dem Frankfurter Wohnungskongress 1904 Neisser mit den Worten: „Seien wir vorsichtig mit den Forderungen nach jenen Baubeschränkungen, die wohl kleinere hygienische Vorteile, aber den enormen Nachteil der Wohnungsteuerung und damit die Zunahme der Belegungsdichtigkeit nach sich ziehen. Denken wir immer daran, dass nicht die Wohnung, sondern das Wohnen die Hauptsache ist.“[2]

II. Wohnungsfrage, Bodenpreise, Bodenpolitik und Bautätigkeit.

In neuester Zeit hat die Auffassung in der Wohnungsreformbewegung immer mehr Anhänger gewonnen, dass die Wohnungsfrage hauptsächlich eine Bodenfrage sei. Das kommt ja auch in den Titeln verschiedener der Eingangs genannten Schriften zum Ausdruck. Wenn die Wohnungsfrage als eine Bodenfrage bezeichnet wird, so geschieht das in doppeltem Sinne. Einmal soll damit die Gestaltung der Bodenpreise für die Richtung verantwortlich gemacht werden, welche die Entwickelung des städtischen Wohnungswesens in Deutschland eingeschlagen hat. Zum andern aber soll damit gesagt sein, dass eine Wohnungsreform grossen Stils nur durch Einflussnahme


  1. Vgl. hierzu namentlich A. Voigt, Wie um die Bauordnung gekämpft wird. Berlin 1909.
  2. Kongressbericht S. 382/3.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/79&oldid=- (Version vom 13.11.2021)