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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Art.[1] Die Gemeinde tritt hier also an die Stelle der Bodenspekulation, sie sucht die Gewinne, welche diese sonst erzielt, in ihre Tasche zu leiten, muss dafür freilich auch das Risiko der letzteren übernehmen. Welche finanziellen Ergebnisse die Gemeinden mit dieser Bodenpolitik erzielen, das hängt naturgemäss vor allem davon ab, ob es ihnen gelingt, das Gelände im Stadterweiterungsgebiet noch zu niedrigen Preisen zu erwerben und es später vorteilhaft wieder zu verwerten. Im Hinblick auf den Umfang, in dem manche deutschen Gemeinden, wie namentlich Frankfurt a. M., Cöln u. a. in den letzten Jahren Bodenankäufe vorgenommen haben – aus solchen grösstenteils mit Anleihemitteln durchgeführten Ankäufen erwächst der Stadtgemeinde natürlich auch eine gewaltige Zinsenbelastung, – kann man Zweifel hegen, ob unsere Gemeindeverwaltungen so organisiert sind, dass sie Terrainspekulationsgeschäfte solchen Umfangs zu einem vorteilhaften Ende zu führen imstande sind. Eine boden- oder wohnungverbilligende Wirkung kann von dieser Politik, welche den städtischen Boden im allgemeinen zu den höchsten Preisen, die sich erzielen lassen, zu verkaufen sucht, natürlich nicht erwartet werden. Unter Umständen führt diese Politik sogar zu einer Verteuerung des Bodens. Denn die Stadtgemeinden sind vermöge ihrer Finanzkraft viel eher in der Lage, eine Politik der Zurückhaltung des Baulandes zu treiben als private Grundbesitzer.

Ein Teil der grossstädtischen Gemeinden hat indessen nicht nur Boden erworben, um ihn mit Nutzen wieder zu verkaufen, sondern zum Teil auch, um ihn zu besitzen und in den Dienst der Wohnungspolitik zu stellen. Besonders auf drei verschiedenen Wegen ist das bisher geschehen. Erstens nach dem Vorgange von Ulm, dessen Beispiel bisher nur allerdings nur wenig Städte gefolgt sind, mit Hilfe des Wiederkaufsrechts. Dort behält sich die Stadt an den von ihr gebauten und verkauften Häusern ein Wiederkaufsrecht vor und unterwirft die Hausbesitzer überhaupt einer Reihe von einschränkenden Bestimmungen. Zweitens in einer grösseren Zahl von Gemeinden (z. B. Leipzig, Frankfurt a. M., Strassburg) mit Hilfe des Erbbaurechts, indem städtisches Gelände an gemeinnützige Gesellschaften, Genossenschaften usw., zum Teil auch an Private, zur Errichtung von Häusern, die nach Ablauf der Erbpachtfrist an die Stadt fallen, gegen mässig bemessene Zinsen überlassen wurde. Es hat sich dabei gezeigt, dass insbesondere Privatpersonen zum Abschlusse von Erbbauverträgen für städtischen Boden wegen der Schwierigkeit der hypothekarischen Beleihung von Erbbauhäusern nur zu gewinnen sind, wenn die Stadtgemeinde auch die Beschaffung der Baugelder in weitgehendem Masse übernimmt. Als dritten Weg zur Verwertung städtischen Bodens für die Wohnungspolitik haben Freiburg i. B. und Zürich den Wohnungsbau und die Wohnungsvermietung durch die Stadt selbst eingeschlagen.

Ein endgiltiges Urteil über die Wirkungen dieser wohnungspolitischen Experimente, insbes. auch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der unmittelbar Beteiligten, lässt sich noch nicht abgeben. Handelt es sich doch auch beim Wiederkaufsrecht sowie beim Erbbauverhältnis, welch letzteres in der Ausgestaltung, die es in England erhalten hat, die Entwicklung der dortigen Wohnungsverhältnisse nicht gerade günstig beeinflusst hat, um ziemlich komplizierte Einrichtungen, deren Gesamtwirkung erst in späterer Zeit sich übersehen lassen wird. Ob sich diese Einrichtungen zur Durchführung in grossem Massstabe eignen, worauf es doch ankommt, und ob sie die geeigneten Mittel sind zu der soviel verlangten Wohnungsreform grossen Stils, welche die Wohnungen allgemein wieder verbilligen soll, darf aber schon heute als sehr zweifelhaft bezeichnet werden. Das wird übrigens auch von manchen Wohnungsreformern offen anerkannt. Jedenfalls haben sie auf die allgemeinen Wohnungszustände und die Wohnungspreise in den betreffenden Städten im allgemeinen einen erheblichen Einfluss, abgesehen vielleicht nur von Ulm, nicht auszuüben vermocht. Dazu ist die Zahl des in Wohnungen der fraglichen Art untergebrachten Teils der Bevölkerung regelmässig viel zu gering. Selbst in Frankfurt a. M., wo auf diesem Gebiete unter allen Grossstädten mit am meisten geschehen ist, wohnten am 31. Dez. 1910 im ganzen nur 21 021 Personen, in den 4862 von der gemeinnützigen Bautätigkeit[2] hergestellten Wohnungen; das sind nur wenig über 5% der Gesamtbevölkerung. Und ebenso belief sich in Freiburg i. B., wo der städtische Wohnungsbau und die direkte Vermietung durch die Gemeinde


  1. Über die Beteiligung der Grossstadtgemeinden an den Grundstücksumsätzen in ihren Gebieten s. die Angaben in dem „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte“, insbes. im 15. Jahrg.
  2. Nach dem Jahresbericht des „Sozialen Museums“ in Frankfurt a. M. für 1910.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/81&oldid=- (Version vom 13.11.2021)