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epidemisch machte, entzog eine Reichspolizeiordnung von 1530 den Gesellen das Recht, den Wanderern Arbeit zu besorgen und sprach dasselbe dem jüngsten Meister, dem sog. Zunftwirt zu.

In der Industrie haben die organisierten Arbeiter sich gleichfalls bemüht, den Arbeitsnachweis an sich zu ziehen, um möglichst ihre Mitglieder in die freien Stellen zu bringen, ihre Unterstützungskassen zu entlasten und die Arbeitgeber mit dem Damoklesschwert der Arbeitersperre, im Schach zu halten. In England ist dies den Gewerkvereinen teilweise gelungen; in Deutschland ist dies weniger der Fall.[1] Wohl aber betätigen sich in ausgedehntem Masse auf dem Gebiet der Stellenvermittlung die Handlungsgehilfen, ohne dass sie aber darin von den Prinzipalen bekämpft werden.

Als die Arbeitgeber sich bewusst wurden, welche Gefahr die Beherrschung des Arbeitsmarkts seitens organisierter Arbeiter ihnen brachte, säumten sie nicht sowohl im Handwerk, als besonders in der Grossindustrie energisch sich zu wehren. Sie wollten sich die Möglichkeit verschaffen, kontraktbrüchige und unruhige Arbeiter auszuschalten, und zu verhindern, dass streikende Arbeiter bei anderen Arbeitgebern eingestellt werden. Der Arbeitsnachweis sollte ihnen als eine Art Massregelungsinstitut dienen. Der Anstoss dieser Bewegung ging von Hamburg aus, wo der Verband der Eisenindustriellen 1889 einen Arbeitsnachweis in Form eines Kontrollbureaus einführte. Mit der raschen Zunahme der Arbeitgeberverbände fassten auch deren Arbeitsnachweise immer festere Wurzel und dehnten sich rasch aus.[2] In der Metall- und Textilindustrie, im Bergbau, auch im Verkehrs- und Baugewerbe spielen sie eine grosse Rolle. Man spricht von einem Berliner und einem Hamburger System: nach ersterem dürfen die Arbeitgeber unmittelbar Arbeitsuchende anstellen, doch müssen diese einen Nachweisschein vorher oder nachher erheben, der ausgestellt wird, wenn der Arbeiter sich über Art und Dauer seiner bisherigen Tätigkeit genügend ausweisen konnte; Arbeitsscheue, Trunkenbolde, Streikende können so ausgeschieden werden. Strenger ist das Hamburger System, das überwiegt. Die Mitglieder dürfen nur Arbeiter einstellen, welche der Arbeitsnachweis ihnen zuweist. Um die Mitglieder gut bedienen zu können, müssen sie detaillierte Angaben über die Art und das Alter der verlangten Arbeiter und der täglichen Arbeitszeit machen. Die Arbeitsuchenden müssen sich über ihre Kranken- und Invalidenversicherung ausweisen, den letzten Entlassungsschein und Zeugnisse vorlegen, Minderjährige ihr Arbeitsbuch. Über jeden sich meldenden Arbeiter wird eine Personalkarte geführt, welche Namen, Geburtsort und Geburtsdatum, sowie die Firmen ersehen lässt, bei denen er beschäftigt war und wann. Man kann sich also rasch über den Betreffenden orientieren. Bei der Zuweisung ist nicht die Reihenfolge der Anmeldung, sondern in erster Linie ihre Geeignetheit massgebend, unter mehreren Passenden wird aber der verheiratete, und unter diesen der am längsten Gemeldete berücksichtigt. Die Tüchtigsten haben also die besten Chancen. Die Arbeitgebernachweise haben das Verdienst, das leidige Umschauen eingeschränkt und Angebot und Nachfrage in ihrem Gebiet mehr zentralisiert zu haben. Die Leitung ist sehr fachkundig, den speziellen Bedürfnissen, die sich oft sehr differenzieren, weiss sie gerecht zu werden; man kommt mit wenigen technischen Beamten aus, da man es nur mit je einer Industrie zu tun hat. Die Arbeitgebernachweise wurden und werden aber noch stark angegriffen oder wenigstens mit Misstrauen angesehen; doch haben sie sich vielfach in neuerer Zeit dazu verstanden, eine unparteiische Handhabung zu versprechen und sogar paritätisch ausgestaltete Beschwerdeausschüsse zuzugestehen, auch die Sperre gegen einzelne (z. B. kontraktbrüchige) Arbeiter zeitlich zu beschränken. Im Zechenverband ist es der preussischen Regierung gelungen, den Beschwerden der Arbeiter abzuhelfen.

Im Handwerk sind als Arbeitgebernachweise die Innungsarbeitsnachweise anzusprechen. Sie können als eine Fortsetzung analoger Einrichtungen aus der Zunftzeit gelten. Seit 1881 ist der Nachweis von Gesellenarbeit und die Fürsorge für das Herbergwesen ihnen als obligatorische Aufgabe gestellt; eine Novelle von 1897 hat auch die Mitwirkung von Gesellenausschüssen vorgeschrieben. Eine grosse Bedeutung kommt im allgemeinen den zersplitterten Innungsnachweisen nicht zu; etwas


  1. O. Michalke, Die Arbeitsnachweise der Gewerkschaften im Deutschen Reich, Berlin 1912.
  2. Gerh. Kessler, Die Arbeitsnachweise der Arbeitgeber, Leipzig 1911. Die neuere Entwickl. der Arbeitgeber- und Arbeitnehmernachweise, Reichsarbeitsblatt 10 (1912) Nr. 11 u. 12.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/95&oldid=- (Version vom 14.11.2021)