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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

besser liegen die Dinge, wo Innungsverbände bestehen, wie bei den Bäckern; auch bei den Malern, Fleischern, Barbieren ist er relativ gut entwickelt. Die Handhabung ist bei kleinen Arbeitsnachweisen etwas primitiv, der sog. Sprechmeister findet sich oft erst in den Abendstunden in der Herberge ein; lieber, als dass die Gesellen den ganzen Tag warten, wandern sie oft weiter. Ist die Vermittlung dem Herbergswirt übertragen, ist die Sache vollends bedenklich. Manche Innungen haben sog. Verbandsbücher eingeführt, welche aber von sozialdemokratischer Seite sehr angefochten werden, indem behauptet wird, Verbandsbücher würden nur meistertreuen Gehilfen gegeben und bezweckten deren Bevorzugung.

Auch manche Veranstaltungen auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Arbeitsmarktes sind hier anzuschliessen.[1] Die bedauerliche Tatsache, dass unsere Landwirtschaft, namentlich die der Grossgüter, nur mit Zuhilfenahme ausländischer Arbeiter betrieben werden kann, hat dazu geführt, dass eine „deutsche Arbeiterzentrale“ mittels ausländischer Agenten und Grenzämter die von den Arbeitgebern gewünschten Arbeiter in der Hauptsache in Russland (Polen) und Oesterreich-Ungarn (Ruthenen) anwerben. Die ausländischen Arbeiter, die immer nur zeitlich beschränkt zugelassen werden, müssen an einem Grenzamt eine Legitimationskarte lösen, auf der der Arbeitgeber, für den sie angeworben sind, verzeichnet steht. Bei Nichtantritt oder Kontraktbruch erfolgt Ausweisung. Mit der Zentrale stehen die Landwirtschaftskammern in Verbindung, die auch ihrerseits, namentlich inländische Arbeiter zu gewinnen suchen. In Preussen hat der Etat 1913 eine Summe von 45 000 M. vorgesehen, um die Inlandvermittlung durch die Landwirtschaftskammern zu fördern; auch die Erträgnisse, die einzelne Landwirtschaftskammern aus der Vermittlung inländischer Arbeiter ziehen, müssen nach Anordnung des preuss. Landwirtschaftsministers für die Förderung des gemeinnützigen Inländernachweises verwandt werden.

Die Gegensätzlichkeit, die zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebernachweisen besteht, suchte man zu beseitigen durch Schaffung von paritätischen Facharbeitsnachweisen, so genannt, weil eine Kommission aus gleichviel Arbeitgebern und Arbeitnehmern über eine möglichst neutrale Verwaltung wacht. Bei den Brauern in Berlin und den Buchdruckern haben sie sich zuerst eingebürgert; im Zusammenhang mit den immer häufiger werdenden Arbeitstarifverträgen ist ihre Zahl rasch im Wachsen, da sie dazu dienen, die vereinbarten Arbeitsbedingungen zu kontrollieren. Aber die zuweilen versuchte Bevorzugung der Vereinigungen, die den Tarifvertrag abgeschlossen haben, verbunden mit Ausschliessung oder Zurückstellung anderer Arbeiter hat naturgemäss auch ihnen den Vorwurf der Parteilichkeit nicht erspart. Auch der bei ihnen vorkommende starre Nummernzwang und der Vermittlungszwang wird für anstössig gefunden,[2] was weniger für den Meldezwang gelten würde.

Mit den genannten Einrichtungen konnte die Organisation des Arbeitsmarkts nicht ihr Ende finden. Zu ihnen ist noch der allgemeine öffentliche Arbeitsnachweis hinzugetreten.[3] Es ist eine markante Erscheinung, wie hier sich ungeheuer rasch eine neue gemeinwirtschaftliche Aufgabe herausbildete. In Deutschland sind diese öffentlichen Arbeitsnachweise von gemeinnützigen Vereinen mit kommunaler Unterstützung oder von den Kommunen selbst errichtet worden. Der erste geht bis ins Jahr 1864 zurück, in den Jahren 1890–93 entstanden weitere, aber sie hatten noch nicht die rechte Methode gefunden; sie waren polizeilich im Nebenamt verwaltet und sollten und wurden auch nur von notleidenden Arbeitern in Anspruch genommen. Im Jahr 1893 regte der Vorsitzende des Stuttgarter Gewerbegerichts Regr. Lautenschläger eine neue Gestaltung an; er verlangte, dass der Zusammenhang mit der Armenpflege gelöst, eine neutrale unparteiische Leitung gewährleistet und deshalb Arbeiter und Arbeitgeber mit der Überwachung betraut, die Kosten von den Kommunen getragen werden. Die Sache kam nun rasch in Fluss. Es


  1. Vgl. die neuere Entwicklung der landwirtschaftlichen Arbeitsnachweise in Deutschland im Reichsarbeitsblatt 11 (1913) S. 42, 120, ausserdem le placement des ouvriers agricoles im Bulletin trimestriel de l’ass. intern. pour la lutte contre le chômage 2 (1912) Nr. 3 und K. Willecke, Die landwirtschaftliche Arbeitsvermittlung in Deutschland, Berlin 1912.
  2. P. Francke, Zur Geschichte des öffentlichen Arbeitsnachweises in Deutschland, Diss. Halle 1913.
  3. Siehe dazu Arbeitsmarkt 16 (1913) S. 151 f., 300 f.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/96&oldid=- (Version vom 14.11.2021)