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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

bildeten sich auch bald Verbände[1] um den Ausgleich in grösseren geographischen Bezirken wirksamer zu erreichen. In Bayern hat man die verschiedenen Arbeitsämter in jedem der 8 Regierungsbezirke an eine Zentrale angeschlossen, welche, soweit der Ausgleich lokal nicht möglich ist, diesen unter sich und vielfach auch noch in den angrenzenden Gebieten durch Austausch von Vakanzenlisten und besonders telephonisch versuchen.

Im allgemeinen werden die Stellen nach der Reihenfolge der Anmeldungen zugewiesen, jedoch unter Rücksichtnahme auf die Tauglichkeit für die betreffende Stelle, auch unter Bevorzugung der Ortsansässigen, Verheirateten und Familienväter. Die Einhaltung der Reihenfolge hat den Vorteil, dass auch die älteren und etwas weniger tüchtigen Arbeiter mit unterkommen.

Die öffentlichen Arbeitsnachweise waren anfänglich in grosser Verlegenheit, wie sie sich Streiks gegenüber verhalten sollten. Vermittelten sie bei Streiks weiter, so beschuldigten die Arbeiter sie, dass sie Streikarbeit förderten; stellten sie die Vermittlung ein, so waren die Arbeitgeber ungehalten. Nach verschiedenen Versuchen, diesen Interessenkonflikt zu überwinden, kam man schliesslich zu dem Ausweg, dass das Arbeitsamt bei Streik oder Aussperrung seine Tätigkeit nicht einstellt, aber bei der Vermittlung darauf aufmerksam macht, dass in dem betreffenden Arbeitszweig oder bei dem betreffenden Unternehmer Streik oder Sperre besteht. Die Arbeitgeber waren und sind damit jedoch nicht zufrieden; sie geben zwar zu, dass dieser Modus praktisch sei, weil sonst Arbeiter, die in Unkenntnis einträten, kurz nach Eintritt wieder fortgingen; aber sie meinen, es müsse ihnen dann auch mitgeteilt werden, ob die ihnen zugehenden Arbeiter ausgesperrte oder streikende seien.[2] Die Arbeitsämter haben im Jahr 1898 zur Förderung der Probleme und Erörterung ihrer Aufgaben sich zu einem Verband deutscher Arbeitsnachweise zusammengeschlossen, von dem auch eine Zeitschrift „Der Arbeitsmarkt“, vom 1. Oktober 1913 ab unter dem Titel „Der Arbeitsnachweis in Deutschland“ herausgegeben wird. Die Arbeitsämter haben meist das Prinzip der Gebührenfreiheit, was in Verbindung mit staatlich gewährten Vergünstigungen im Telephonverkehr und Ermässigungen im Eisenbahnverkehr, wie sie zuerst in Süddeutschland üblich geworden sind, eine grosse werbende Kraft in sich schloss. Zweckmässig haben sich grössere Arbeitsämter noch andere soziale Einrichtungen angegliedert, so namentlich den Wohnungsnachweis für Arbeiter, Kostkindervermittlung, Rechtsauskunftstelle, Schreibstuben für stellenlose Kaufleute. Sehr häufig hat man auch Warteräume geschaffen, in denen sich die Arbeitsuchenden aufhalten und eventuell mit nachfragenden Arbeitgebern gleich verhandeln können.

In die eigentliche Grossindustrie vermochte der öffentliche Arbeitsnachweis in Deutschland bis jetzt nicht einzudringen, immerhin ist es ihm gelungen, neben den ungelernten Arbeitern, Dienstboten, Putzfrauen, auch gelernte Arbeiter ausserhalb der Grossindustrie und landwirtschaftliche Arbeiter in erheblichem Masse zu vermitteln. Eine gewisse Abneigung in den Unternehmerkreisen ist immer noch vorhanden, sie fürchten nicht entsprechend bedient zu werden, teils wegen des Prinzips der Reihenfolge, teils wegen der Rücksicht auf die Armenpflege, welche den einheimischen Arbeiter den auswärtigen vorziehen lassen; sie fürchten auch, dass wenn die Arbeiter die Mehrheit in den Gemeindevertretungen erhalten, die Unparteilichkeit nicht gewahrt bleibe. Aber eine Reihe Innungen haben im Interesse der Kostenersparnis und einsehend, dass unter heutigen Verhältnissen das ziellose Wandern nicht mehr zeitgemäss ist und dass die Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit des Arbeitsmarkts sehr wertvoll sind, sich entschlossen, ihren Arbeitsnachweis, manchmal auch die Verabreichung des Geschenks, dem Arbeitsamt zu übertragen, so in München, Berlin, Köln, Stuttgart. Bei grossen Gewerbszweigen hat man ihnen zuweilen einen eigenen sachkundigen Leiter und eine eigene paritätische Überwachungskommission eingeräumt. Freilich haben andere auch wieder energisch eine Angliederung abgelehnt. Eine Reihe von Landwirtschaftskammern hat es ebenfalls für zweckmässig befunden, ihren Arbeitsnachweis einem öffentlichen anzugliedern und neuestens sind weitere Schritte durch Vereinbarung von Grundzügen für gemeinsames Arbeiten in Preussen geschehen. Die Gewerkschaften, früher den öffentlichen Arbeitsnachweisen abgeneigt, sind jetzt Befürworter derselben.[3]


  1. Die deutschen Arbeitsnachweisverbände (Bulletin trimestriel 1 (1911) Nr. 2 S. 231 f.
  2. Siehe über diesen Punkt auch die Erörterungen in der Sitzung des preuss. Abg.-Hauses v. 26. Febr. 1913.
  3. Vgl. Resolution des 8. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands vom Juli 1911 zu Dresden.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/97&oldid=- (Version vom 14.11.2021)