Ich habe eine Bleistiftskizze eines russischen Postens gemacht, so wie ich ihn gegenüber stehen sehe. Neben ihm ein russischer Offizier u. an der Mauer der Befehl des Ausnahmezustandes, im Hintergrunde zwei Pakgeschütze. Ich denke, daß ich ein kleines Bild davon machen kann, etwa 50 x 50 cm. groß, wofür ich noch alte Bilderrückseiten habe, sodaß ich keine neue Leinewand benötige. –
Da keine Aussicht besteht, daß der Ausnahmezustand bald aufgehoben u. die Zonengrenze geöffnet wird, habe ich die Anmeldung zur Juryfreien von hier aus per Post aufgegeben. Elisab. bekommt laufend Päckchen mit Arztmustern aus dem Westen, die unbeanstandet ankommen u. so hoffe ich, daß es auch in umgekehrter Richtung gehen wird. Zur Vorsicht habe ich den Brief nicht an den Verband sondern an Herrn Wellenstein persönlich gerichtet u. habe ihn um Empfangsbestätigung gebeten.
Elisab. hatte sich gewünscht, über Wochenende nach Fangschleuse zu fahren u. hat zu diesem Zweck ihren Haushaltstag am Sonnabend genommen. Ich schrieb deshalb an Frau Krüger, bekomme aber eben von ihr ein Telegramm, in dem sie mitteilt, daß das Zimmer bis zum 28. Juli besetzt ist. E. wird sehr betrübt darüber sein. –
Gestern Nachmittag brachte mir Frau Selmke in Begleitung ihrer Tochter Christa zwei Hemden, deren Halsweiten zu verändern gewesen waren. Ihr Mann ist Buchalter im Stahlwerk Henningsdorf u. hat sich am 17. Juni an der Demonstration beteiligt. Frau S. erzählte daher sehr interessant über Einzelheiten. Besonders eindrucksvoll war ihre Schilderung der hellen Begeisterung der Bevölkerung beim Durchzug der Demonstranten durch den französischen Sektor. Die Leute haben gejauchzt u. geschrien u. gewinkt, sie haben die Demonstranten, die ja in strömendem Regen demonstrierten, mit Kuchen, Schokolade u. Cigaretten beschenkt. Ein Mädchen aus dem Büro des Herrn Selmke hatte nur ganz leichte Schuhe angehabt, die auf dem langen Marsch durch den Regen sehr bald in Fetzen gingen. Sie wurde in einen Schuhladen genötigt u. bekam dort ein paar funkelnagelneue, solide Lederschuhe angepaßt, die ihr geschenkt wurden. – Und jetzt behauptet die Partei u. die Regierung frech, daß die ganze Bevölkerung hinter ihr stände. –
Der Besuch der Frau S. hatte leider die
Hans Brass: TBHB 1953-06-24. , 1953, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-06-25_001.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2024)