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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s

rücksichtslos bequem, mit aufgestemmten Ellenbogen, die Finger überm Nacken verflochten, und las einen Dutzend-Roman. Hinter ihr, auf einem verblaßten Diwan ausgestreckt, lag Walter. Seine weitgeöffneten Augen waren auf ein verräuchertes Stück der Decke gerichtet, wo über der Lampe matte Schattenringe spielten … und er sah tanzende Samoaner. Und längst erstarrte Gedanken tauchten in seiner Seele zu brausenden Träumen, ihn fernhin zu tragen. Manchmal bewegten sich seine Lippen zu lautlosen Worten.

Schwere, schleppende Atemzüge verloren sich in der Ruhe des Zimmers. – Allmählich begann Walter seine Gedanken in hörbare Worte zu fassen, die, je länger er sprach, um so leidenschaftlicher klangen.

„Ach, die von Samoa! Liddy, wir sind erbärmliche Krüppel, suchende Blinde, verlogene Prahler, du, ich, wir Weißen alle gegen die von Samoa! Sie sind Gestalten aus heller Bronze, weitblickend und furchtlos; Krieger mit kalten Messern in schweren Fäusten, Jäger, die sich mit rauhen Knieen durch knackendes Buschwerk kühne Wege bahnen.

Sie stehen in der Sonne im Sand, und Seewind kühlt ihre bloße Brust. Sie setzen sich in engen Zelten zu trotzigen Frauen mit reifen Brüsten; Frauen, wie Tautau, mit breiten Schenkeln und lässigen Hüften. Diese Frauen stecken sich feuchte, sterbende Blüten ins dunkle, unbändige Haar. Frauen mit lüstern wiegendem Gang reichen die Kawa in Kokosnußschalen.“ –


Empfohlene Zitierweise:
Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_045.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)