Seite:Hans Bötticher Ein jeder lebts 138.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s

schenkte er gar die Mühle, das Geld, mit der Freiheit, der Selbständigkeit. Er war es diesem Gotte schuldig, jetzt denen ebenso gnädig zu verzeihen, und er wollte und konnte. Und „nicht wahr,“ setzte Daja ein, „morgen taufen wir es?“

Ihr Lehrer hatte wohl überhört. Flüsternd, aber deutlich sprach er ein Verschen vor sich hin:

„Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, was es wolle,
Es war doch so schön.“

Die achtjährige Schülerin, welche diese Poesie nicht ganz verstand und sie auf das Kaninchen bezog, lächelte mit allerliebstem geschmeichelten Besitzerstolz, indem ihre Fingerchen gelinde über die verschrockenen Rollaugen und das appetitliche Schnäuzchen des zitternden Tierchens strichen.

Nun trugen die Schwingen der Gedanken den bleichen Mann mit dem schlotternden Gehrock hoch in das goldene Futur, wo unabsehbare, jugendlang und jugendheiß erhoffte Wonnen winkten. Und doch war oben Michels erster Blick wieder rückwärts, abwärts gerichtet, wo das unumgrenzbare, ungreifbare, unglaubliche Vorbei sich in wirren Rätseln verlor. Jetzt geschah es, daß der Hauslehrer von einem friedesamen, milden Schwindel ergriffen wurde.

Zauberhaft! dachte er. Märchenseltsam! Aber es liegt noch etwas namenlos darüber, was so wehmütig stimmt, etwas so – ein –

„Herr Andex, wie soll ich es denn taufen?“


Empfohlene Zitierweise:
Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_138.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)