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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s

Parkwächter umgelaufen, der in den Buchengängen, auf den taxusgesäumten Kieswegen und geschorenen Rasenflächen wie ein Maikäfer herumtorkelte, um nach Unbefugten auszuspähen. Dieser Schafskopf, der noch gefürchteter als Bäckertrude war, schimpfte schauderhaft, wollte der davonrennenden flatterblonden Sünderin nachsetzen, erinnerte sich an sein Holzbein, blieb stehen, spuckte viermal und trank fünf Schlucke aus einer dunklen Flasche.

Nicht lange danach am Schloßteich überzeugte sich Daja schmerzlich, daß die Schwäne – es waren ihrer vier, nein fünf – vom Ufer nicht erreichbar auf der Wasserfläche ruhten und weder von lockenden Lauten noch von drohenden Steinwürfen sonderlich Notiz nahmen. Aber ein schmaler Bootssteg mochte Daja den Tieren näher bringen. Sie legte die Blumen beiseite, behielt nur den Buschen Mohn in Händen und kroch auf allen Vieren ängstlich aber mutig das Brett entlang.

Ja, sie rückte den schaurig schönen weißen Vögeln näher, immer näher – – – noch näher – – o weh! Nicht ganz – vielleicht – –

Die Schwäne, hundert Schwäne, entfalteten sich brausend, schlugen mit gewaltigen Fittichen nach dem Kinde, peitschten das Wasser zu haushohen Wogen, wollten Daja totbeißen, schrieen laut, entsetzlich, schrieen. Aber da kam gerade der Herzog des Wegs, im Frack, mit der Brille, und heute trug er auch die goldene Krone auf dem Haupte.


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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_143.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)