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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s


„Na, du wirst wohl erlauben, daß ich –“

Die Tür öffnete sich aufschreckend, und die alte, in der Haltung fast rechtwinklige Murmel mit ihrem farbenschwachen Haar, farbenschwachen Gesicht und farbenschwachen Kleide präsentierte sich. Sie schluckte ein paarmal – „Luftgurken,“ wie Onkel Fußball es bezeichnete – und preßte dabei die gefalteten Hände auf den Magen, wie sie immer tat, wenn sie etwas von Wichtigkeit vorzubringen hatte. Die am Tische kicherten. Nur der Stadtrat rief zornschäumend vom Stuhl aufspringend der Kinderfrau entgegen: „Vor allen Dingen bring mir den Rohrstock herein, den Rohrstock!“

„Den braucht’s nicht, Herr Stadtrat,“ sagte Murmel schwer und bitter mit einer Stimme, die alle lähmte, „unser Herrgott hats Dajerle fortgeführt. Daja“ – auf einmal schluchzte die Alte gräßlich auf – „Da-da-aja ist ertrunken.“


8

Wir werden mißachtet, so lang wir getrennt sind, wir, die Sekunden, und sind entschwunden, bevor ihr uns kennt. Wir tropfen zusammen zur Geltung Minute: Sechzig Geschwister von einem Blute.

*

Zwanzigmal drei. Wir, die Familien, wir, die Minuten, spielen vorbei, tippen am Zeiger der Uhr, nippen vom Schlechten und Guten, nippen

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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)