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Wenn Oberländer zeichnet, ist seine Tür gewöhnlich unverschlossen, ja er kommt Einem dann freundlich bis in’s Antichambre entgegen, das während drei Monaten im Jahre der Christbaum und zu allen Zeiten eine Büste der Venus von Milo mit einer Schlange um den Hals zu schmücken pflegt.

An dem kleinen, alten, engen Schreibtischchen habe ich da Zeichnung auf Zeichnung in ihren drei Phasen entstehen sehen: erst den ganz blassen Entwurf, auf dem man noch nichts erkennt, dann die vergrößerte, deutlichere Ausführung, die gewöhnlich wesentliche Veränderungen aufweist, und endlich die zur Herstellung fertige Ausführung. Seine Zeichenfedern haben meistens die Eigenschaft, daß sie dem Schreiben, z. B. einer Briefkarte, große Hindernisse entgegensetzen, indem sie stechen, spritzen und Klexe machen.

Dieser kleine, von vielem Gebrauch abgeriebene Schreibtisch stützt sich gegen eine blaugepolsterte spanische Wand als Rückseite einer Hausorgel. Ich weiß nicht, ob Oberländer sich auf derselben in mühevollen Stunden erbaut; er betont es gern, daß er Protestant ist, und die Todesanzeige einer alten Köchin, worin er mitteilte, daß es Gott dem Allmächtigen in seinem unerforschlichem Ratschluß gefallen habe, die treue Dienerin seines Hauses zu sich zu nehmen, deutete sogar eine strenge Richtung an.

In letzter Zeit ist er viel eingezogener geworden und wiederholt oft, er bedürfe der Ruhe und Sammlung. Dann öffnet sich die Tür zu den beiden Stübchen, dem Maleratelier und dem Zeichenzimmer, die eine ganz junggesellenhaft anspruchslose Ausstattung haben, oft lange nicht; auch im Hofgarten sieht man ihn nicht mehr so oft wie früher, und die Spaziergänge nach der Siegessäule scheint er gänzlich eingestellt zu haben. Er genießt dann die schöne Aussicht aus seinen Fenstern im dritten Stock. Von seinen Atelierfenstern sieht er hinein in das Wittelsbacherpalais, das die Prinzen Ludwig und Arnulf bewohnen, und in dem großen Almeida’schen Garten, sowie weit hinunter bis zum Odeonsplatz rechts und den Propyläen mit der russischen Säule links; und von den Familienzimmern aus hat er die uralten Eschen vor dem ehemaligen Achatz und der jetzigen neuen Börse unter sich. Es ist ein Idyll im centralsten München, das er nur auf sechs Wochen im Sommer verläßt, um an den Starnberger See oder in’s Gebirge zu gehen. Er reist nie, und von diesen kleinen Sommerfrischen kommt er immer etwas gealtert zurück, um dann nach und nach in München wieder aufzublühen.

Ich habe mich bei seiner Häuslichkeit etwas länger aufgehalten, weil diese Interieurs auch zu seinen Zeichnungen gehören. Er zeichnet gern mit dem Leben, immer und überall. Ich wohnte einmal einer Zeugenaussage von ihm bei, die eins der guten Stücke aus den „Fliegenden“ war. Es handelte sich dabei um ein Tutzerl, das ein Löwe verschluckt hatte. Dies Motiv hatte er auch mit dem voraussehenden Geist des echten Künstlers

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Ola Hansson: Oberländer und die „Fliegenden“. S. Schottlaender, Breslau 1904, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hansson_Oberl%C3%A4nder_und_die_Fliegenden.djvu/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)