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Chronik 1917.
Die Ernährungsfrage.

     Im Vordergrunde der Unterhaltungsstoffe steht ohne Zweifel die Ernährungsfrage. Das ist auch kein Wunder, denn wenn der Magen nicht befriedigt wird, ist man nicht imstande zum rastlosen Schaffen und kraftvollen Durchhalten. Aber gar zu leicht artet die Unterhaltung zu aufgeregtem und ansteckendem Schimpfen aus. Auch dies ist bis zu einem gewissen Grade zu verstehen, denn die vorhandenen Lebensmittel gelangen keineswegs alle zur gleichmäßigen Verteilung an alle; die Eier z. B. werden nicht an jeden herangebracht, wochenlang bekommt mancher gar keine zu sehen, während sich andere täglich mindestens eins zu Gemüte führen. Aber in den allermeisten Fällen ist das Schimpfen auf bestimmte Behörden oder Verfügungen unberechtigt und würde auch stark abnehmen, wenn man allerwärts die tatsächlichen Verhältnisse klar erkennen und stets vor Augen haben wollte. So sei auch an dieser Stelle ein Überblick über die ganze Ernährungsfrage gegeben.

     An einen langen Krieg hat 1914 kaum jemand in Deutschland gedacht. Das entsprach, auch der allgemeinen Ansicht, die in der ganzen Welt über einen großen Krieg seit langem bestanden hat. Infolgedessen hatte sich Deutschland nicht mit Lebensmitteln versorgt. Die Erzeugnisse der deutschen Landwirtschaft schätzte man bei Beginn des Krieges auf 10 Milliarden Mark an Wert, das hat aber für unsere Ernährung bei weitem nicht ausgereicht, es haben noch für 3 Milliarden Mark Lebensmittel eingeführt werden müssen. Die Haupteinfuhr fiel nun bei Beginn des Krieges mit einem Schlage weg. Mit einem Schlage war die auf den Kopf zur Verfügung stehende Menge bedeutend kleiner geworden. An Eiern machte das mindestens ein halbes Ei für den Kopf täglich aus, denn der Zustrom aus Rußland versiegte sofort, aber auch an Korn war täglich ein halbes Pfund weniger für den Kopf vorhanden. Das Kraftfutter für das Vieh fiel fast ganz weg, und so war ein starker Fleischmangel die unausweichliche Folge, das Allerschlimmste war jedoch der große Fettmangel. Unsere einheimische Fetterzeugung hatte schon lange nicht mehr ausgereicht, es war besonders viel Butter aus Sibirien gekommen. Bei der städtischen Bevölkerung hat nicht nur in den Arbeiterkreisen Pflanzenbutter Eingang gefunden, ja selbst auf dem Lande aß man nicht nur deutsche Butter, sondern auch amerikanisches Schmalz. Ein Ersatz für die ausfallende Fetteinfuhr, 10 Gramm ist den Kopf täglich, war einfach unmöglich, im Gegenteil, die Kühe gaben bei Ausfall des Kraftfutters immer weniger Milch. Und so steht es auch allgemein mit der Lebensmittelerzeugung; sie konnte nicht gesteigert werden, wir müssen vielmehr froh sein. Daß uns in den 3 Jahren noch nicht wirkliche Hungersnöte heimgesucht haben, wenn es auch in dem letzten Jahre stellenweise recht knapp hergegangen ist.

     Bei der großen Knappheit nun und bei der großen Gefahr, daß die Lebensmittel nicht bis zu nächsten Ernte reichen würden, mußte die Regierung gleich im ersten Jahre eingreifen. Ihre Aufgabe bestand im wesentlichen darin, die vorhandenen Vorräte einzuteilen und jedem die ihm zustehende Menge zu sichern. Welche Riesenaufgabe bei einem Volte von fast 70 Millionen! Und mit wieviel Undank ist der Regierung das von ihr Geleistete gedankt!

     Im Frühjahr 1915 erschien die Brotmarke, und sie machte weite Kreise erst darauf aufmerksam, da so sorglos wie bisher nicht weiter gewirtschaftet werden dürfe, weil wir sonst in wenigen Monaten am Ende unserer Vorräte und damit auch unserer Kräfte sein würden. Und die Brotmarke war unsere Rettung: der Verbrauch des Brotes ging in den Großstädten um die Hälfte zurück. Das ist also ein unbestreitbarer Erfolg der Regierung, zugleich aber ist es ein Riesenverdienst von ihr, daß sie es in den 3 schweren Jahren fertig gebracht hat, den Brotpreis trotz unseres Abgeschlossenseins von der Welternte niedriger zu halten als bei unseren Feinden, denen doch die Welt offen steht oder die zum Teil noch Getreide ausführen. Noch größere Schwierigkeiten erhoben sich bei der Kartoffelversorgung. Während das Getreide noch verhältnismäßig leicht zu behandeln ist, ist die Kartoffel bekanntlich eine sehr empfindliche und verderbliche Ware. Dabei schwanken die Kartoffelertäge von Jahr zu Jahr ganz bedeutend. Auch lassen sich die wirklichen Ernten viel schwerer feststellen als die Getreideernteertäge. Aus diesen Umständen erklären sich die beklagenswerten Mißstände bei der Kartoffelversorgung während des letzten Jahres. General Gröner, der sich während des Krieges um die Eisenbahn die größten Verdienste erworben hat, stellte 1916 einen eigenen Kartoffelfahrplan auf: 30000 Waggons sollten nach jedem Ort die nötigen Kartoffeln rollen, da kam der Krieg mit Rumänien, und der schöne Fahrplan war zwecklos, die Waggons rollten zum größten Teil nach dem Balkan statt durchs deutsche Vaterland. Außerdem hatten wir voriges Jahr eine ausgesprochene Mißernte an Kartoffeln, und nun setzte auch noch der Winter früh ein und brachte eine grimmige Kälte, so daß die Kartoffelzufuhr nach den Großstädten wochenlang unmöglich war und als Ersatz in der Hauptsache nur Steckrüben geliefert werden konnten. Dieses Jahr ist die Kartoffelernte gut. Hoffen wir, daß 10 Pfund für Kopf und Woche jedem Deutschen geliefert werden können!

     Die Fleischvorräte sind natürlich auch knapper geworden, denn es fehlt ja an kräftigem Futter. Es ist aber dafür gesorgt, daß für jedermann wenigstens etwas Fleisch wöchentlich zur Verfügung steht und die Belieferung ist 1917 auch viel regelmäßiger geworden als 1916. Als im Frühjahr 1917 die Brotmenge gekürzt wurde, vergrößerte man die Fleischmenge und lieferte sie für die Unbemittelten zu einem mäßigen Preise. Als nun während der neuen Ernte wieder mehr Brot ausgegeben wurde, fiel dies wieder weg; für das nächste Jahr wird das Fleisch noch knapper werden. Das hängt mit dem Bemühen des Kriegsernährungsamtes zusammen, die Nahrungsmittel möglichst praktisch zu verwenden. Es ist aber ausgeschlossen, das deutsche Volk und den vorhandenen Viehbestand nebeneinander leidlich zu ernähren mit dem, was in Deutschland wächst, deswegen muß unbedingt wieder ein Teil des Viehbestandes abgeschlachtet werden, und zwar handelt es sich in erster Linie um Schweine, die sogenannten Konkurrenztiere der Menschen inbezug auf Nahrung. Die Landwirte haben das Bestreben, Kartoffeln und Getreide an das Vieh zu verfüttern. Im Interesse der Allgemeinheit aber liegt es, Kartoffeln und Getreide unmittelbar dem menschlichen Magen zuzuführen, denn So hat das deutsche Volk als Ganzes immer größeren Nutzen davon, denn gehen die Kartoffeln erst in den Schweinemagen und dienen dann erst in Gestalt von Schweinefleisch dem Menschen zur Nahrung, so büßt die Kartoffel auf diesem Umwege ⅘, ihres Nährwertes für uns ein. Ähnlich steht es mit der Kornverfütterung an das Vieh. Um diese Verfütterungen möglichst zu hintertreiben, hat die Regierung die Viehpreise gesenkt, die Brot- und Kartoffelpreise aber dafür erhöhen müssen.

     Diese abermalige Verteuerung von Brot und Kartoffeln ist für uns Städter zwar wiederum eine schmerzliche Sache, aber man muß auch da wieder aufs Ganze sehen.

     Der Landwirt hat es jetzt trotz seiner erhöhten Einnahmen auch nicht einfach glänzend. Der Mangel an Pferden, an Düngemitteln, an Maschinen und dergl. erschwert ihm