Seite:Harz-Berg-Kalender 1919 027.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.


     „Ich bedarf Eurer Bürgschaft nicht, Wen7,“ entgegnete Frau Helmbrecht mit einem bösen Lächeln, aus ihrem Gesicht war die Farbe gewichen, und ihre Lippen zuckten, – ich bedarf ihrer nicht; wenn ich den Hendricks das Geld geben wollte, würde ich es ihnen auch leihen; aber ich denke nicht daran, nie! nie!“ Sie lachte dabei kurz und hart und griff nach dem Schuldschein, den sie zum Zeichen seiner Richtigkeit zerriß. – „So,“ sagte sie langsam, „damit ist die Sache in Ordnung, Wenz.“

     „Jawohl, wenn Ihr Euch dabei beruhigen könnt, es wird Euch aber schwer werden, – denn die Stunde ist gekommen, da Ihr eine Schuld abzutragen habt an Lenchen, deren Eltern Euch armes, hungriges Waislein in ihr Haus nahmen und Euch schützten und hegten wie ihr eigen Kind, viele Jahre. Und als Ihr groß geworden und Ihr ihnen die Treue, die Euch erwiesen, hättet vergelten können, da habt Ihr sie verlassen, warum? Ich weiß es nicht, habe Euch nicht darnach zu fragen; aber ich bitte Euch, Helmbrechtin, was Ihr damals an Eurer Schuld nicht getilgt habt, tilgt es jetzt – geht dem lieben Gott nicht aus dem Weg, seid barmherzig!“

     „Laßt das Predigen, Wenz. Die Hendricks sind noch nicht zu mir gekommen, finden sie es einmal der Mühe wert, dann weiß man ja nicht, was geschieht; aber ich glaube, ich bin sicher vor ihnen, sie werden sich’s überlegen.“

     „Wohl, da mögt Ihr recht haben, sie werden sich’s überlegen, und hättet Ihr ein Herz, ein gutes, edles, frommes und dankbares Herz, Ihr würdet den Armen diesen Gang ersparen; Ihr würdet selbst ihnen die Hilfe bringen, ehe sie bitten; denn es muß ein bitterer, ein harter Gang sein, sich vor dem zu demütigen, der einst unser Brot aß, und der um unserer Dürftigkeit uns nun verachtet. – Doch nun gehabt Euch wohl, Helmbrechtin, laßt mich nicht umsonst gebeten haben! – Seht, da kommt Christian, legt das Geld, nicht zurück in die Lade, ich bitte Euch,“ bat der Gast und hielt ihre Rechte umschlossen, welche die Scheine eilig zusammenschob, um sie vor dem Eintritt des Sohnes in den Schrank zu bergen, damit Wenz die Gelegenheit abschneidend, das für sie so unbequeme Thema ebenfalls aufzugreifen. Doch sie irrte. Nach der herzlichen Begrüßung der beiden Männer, und nachdem Wenz die Ursache, welche ihn heute hierherführte, Christian mitgeteilt hatte, bestürmten sie nun beide Frau Helmbrecht; besonders dringend waren die Bitten des Sohnes, durch ihn der bedrängten Familie das Geld zu senden, anstatt es nutzlos in den Kasten zu legen.

     Allein jedes Bitten und jede Vorstellung war umsonst. Frau Helmbrecht verschloß Herz und Ohr dafür, und zuletzt untersagte sie Christian für immer den Umgang mit dem „Betteljungen“, der sich nicht für ihn zieme, worauf Wenz mit kurzem Gruß das Haus verließ, und Christian früher als sonst sein Lager aufsuchte, denn er fühlte sich von der Handlungsweise seiner sonst so gütigen Mutter verletzt und erkältet.

     Des Sommers Pracht war dahin, die letzten roten Blätter des Rebengeländes hatte der Wind hinweggetragen, düster, kalt, grau und eintönig lag der Himmel über der nassen, kalten Erbe, Frau Helmbrecht saß am Spinnrad in der wohldurchwärmten Stube, ihre Finger bebten, es riß der Faden, etwas, was ihr sonst kaum passierte; zwei dunkelrote Flecken brannten auf ihren Wangen, ihre Augen zeigten dunkle Ränder, sie war erregt und vermochte kaum ihre Unruhe zu verbergen; manchmal warf sie einen scheuen, fast angstvollen Blick hinaus, drüben lagen die Steinbrüche, grau, eintönig und düster.

     Jetzt schob sie hastig das Rad zurück, es litt sie nicht länger in der engen Stube, sie drohte zu ersticken, quer eilte sie über den Hof, von der Tenne scholl der eintönige Takt der Drescher; in dem Augenblick, als sie die Scheune betreten wollte, zog sie sich unbemerkt wieder zurück, denn das Gespräch, das drinnen geführt wurde, fesselte ihre ganze Aufmerksamkeit.

     „Jetzt sind es schon drei Wochen, daß der Herr in die Steinbrüche geht“ – hörte sie den zweiten Knecht zu dem Großknecht sagen, – „mit dem Willen seiner Mutter geschieht’s wohl nicht, denn sie erwidert seinen Gruß nie, ob er geht oder kommt; kann mir’s wohl denken, daß es sie nicht freut, wenn ihr Sohn, der Reichsten einer in der Gegend, einen Arbeiter macht und sein Leben aufs Spiel setzt, denn die Steinbrecherarbeit hat schon einen Stärkeren als der junge Bauer ist, umgebracht.“

     „Ja, was treibt ihn denn dazu?“ fragten die meisten, – „doch wahrlich nicht die Not“ – lachten sie, –, „weißt du es nicht, Klaus? – Du bist ja mit dem Bauer in die Schule gegangen und er hält überhaupt große Stücke auf dich.“

     „Er ist der Herr und ich bin der Knecht: würde er mir sein Vertrauen schenken, so wäre der Klaus wohl der letzte, der es euch ausplaudern würde, das werdet Ihr mir wohl glauben. Übrigens das kann ich Euch sagen, und damit beruhigt Euch, unser Herr weiß, was er zu tun hat, er hat bei allem eine gute Absicht – und es muß diesmal etwas ganz besonders Gutes sein, das er durchführt,