Seite:Harz-Berg-Kalender 1920 033.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.



Herbstabend.

     Über die schweigende Waldblöße kriechen laue Schatten. Hinter dem Walde weit im Westen versinkt in goldroter Glut die Abendsonne. Ihre letzten feurigen Strahlen huschen blitzend durch das dunkle Gehölz und küssen mit goldigem Kuß das gelbe Borstengras im Hai, daß es jubelnd auf flackert, malen glühende Farbflecken auf die schlanken Fichtenstämme und ziehen über den braunen Waldboden flimmernde Streifen von Purpur und Gold. Die Bäume baden ihr Haupt in grüngoldenem Licht. Brennend lohen die Fichtenzapfen an den Wipfelzweigen, flammend des Weidenröschens blutrote Blätter. In sattem Goldbraun wiegt sich der Adlerfarn, und unter ihm leuchtet sprühend das goldene Haarmoos. Jedes Fleckchen Boden, jedes Waldwinkelchen ist von einem zarten Goldzauber erfüllt. Die scheidende Sonne haucht liebkosend ihren Gutenachtkuß über die Fluren. Wie eine zärtliche Mutter, die mit glücklichem Lächeln das Haupt ihrer Kinder streichelt, läßt sie noch einmal ihr wärmendes Licht über die träumenden Höhen gleiten. Als ob sie ihnen allen noch etwas liebes zuflüstern und ihnen ihren mütterlichen Segen mitgeben möchte, ehe still sich Nacht und Schlaf herniedersenken.

     In den Tälern beginnt es zu dämmern. Kühle Schatten lagern sich darüber, und der Silberbach im Grunde überdeckt sich mit dampfendem Dunst. Das fröhliche Grün am Bachesrand wird grau und fahl. Tausende Halme neigen sich müde zur Erde. Längst hat die Wasseramsel ihren heimlichen Unterschlupf aufgesucht. Des Wildwassers lullendes Liedlein hat sie längst in Schlaf gesungen. Nun schlummert sie und träumt von Larven und jungen Forellen.

     Die graue Dämmerung steigt höher an den waldigen Hängen hinan. Bald ist das letzte goldene Leuchten auf den Gipfeln verloschen, verhaucht der letzte glühende Rosenschimmer. Noch ein zuckendes Flackern jenseits der Wälder, ein Mattes Blinken und Blinzeln: dann stirbt der Tag und versinkt im All. Schweigend verhüllt sich die Welt in Dunst und Duft.