Seite:Harz-Berg-Kalender 1921 026.png

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Muskeln. Dann reckt er den Hals vor, seine zottige Mähne sträubt sich, und mit ungestümer Kraft stößt er einen wilden Kapfschrei in die Nachtstille hinaus. Einen Schrei voll trotzigen Todesmuts, ungestümer Kampflust und verlangender Begierde, der sich dröhnend an der schwarzen Wand des Hochwaldes bricht, in vielstimmigem Echo von den Bergen widertönt und als eine drohende Herausforderung hinüber grollt auf die nebelige Waldwiese.

     Der Platzhirsch drüben, stutzt. Mit heftigem Ruck reißt er den Kopf hoch. Sollte dieser Fehderuf ihm gelten?

     Eine eifersüchtige, bebende Wut packt ihn. In kurzen Sätzen eilt er in die Richtung, woher die Kampfansage kam. Er fürchtet sich nicht. Der Angreifer soll ihn gewappnet finden und mag sich hüten, seines Reiches Grenzen zu überschreiten.

     Wehe ihm! Ein donnernder Warnruf gellt dem Nebenbuhler entgegen.

     Doch der ist noch heißblütiger geworden. Seine Leidenschaft hat sich zu flammender Glut gesteigert. Mit hartnäckigem Trotz wiederholt er seine Herausforderung. Der gereizte Platzhirsch bleibt keine Antwort schuldig. So schallen Ruf und Gegenruf weithin durch die stille Nacht, bald in langgezogenen hohlen Baßtönen, bald in abgegriffenen, kurzen Stößen, dann wieder wie dumpfes, heiseres Grollen. Von allen Höhen antwortets und jedes Tal gibts zweimal, dreimal wieder zurück.

     Jäh ist der Waldesfrieden zerrissen.

     Immer näher rücken sich die Gegner auf den Leib, immer drohender wird das Kampfgeschrei.

     Da, – jetzt prasseln sie in wildem Ungestüm aufeinander. Krachend klappen die Geweihe zusammen, Steine poltern, Moosfetzen fliegen, brechende Äste knacken. Und grausig dröhnen die Streitrufe dazwischen, wütendes Schnauben, grimmiges Ächzen, zorniges Stampfen.

     Ein wüster Tumult hat sich entsponnen. Als wenn eine Hölle auf das stille Hai niedergestiegen wäre.

     Der Platzhirsch hat einen schweren Stand. Aber er ist ein kampfharter Geselle. Solchen Strauß hat er mehr denn einmal durchgefochten. Nicht umsonst ist sein eines Ohr zerschlissen, und die lange Narbe über den Rippen kam auch nicht von ohngefähr. Er weiß, was er zu verlieren hat. Der Gedanke an seine Schönen gibt ihm doppelte Kraft. Immer lauter krachen die Geweihe aufeinander, immer dröhnender wird das Gepolter. Ein Weilchen noch wogt der Kampf hin und her. Dann hat er den Eindringling mürbe gemacht. Jetzt wankt der Feind, weicht aus, flieht. In langen Sätzen eilt er dem Schützenden Dickicht zu.

     Fahr wohl, schöner Liebestraum!

     Und hinter dem Geschlagenen, Flüchtenden richtet sich der Bezwinger triumphierend auf und ruft einen stolzen Siegesschrei über die Waldhöhen hin.

     Dann ist’s wieder Friede ringsum.

     Noch einmal schaut der Kempe mißtrauisch dem Störenfried nach. Dann trollt er gelassen, ein wenig blinkend nach der Waldwiese zurück, wo das Mutterwild und die erschrockenen Schmaltiere ihn mit ängstlichem Auge empfangen.

     Der Verwundete leckt den zerschundenen Lauf. Ruhig setzt der Rudel die unterbrochene Äsung fort.

     Bleich versinkt der Mond hinterm Bergeshang. Müde blinken die Sterne. Aus der Luft klingt schrill ein Eulenruf hernieder. Irgendwo im Holze bellt heiser ein lungernder Fuchs. Lange noch röhrt in der Nachbarschaft ein unruhig gewordener Hirsch, und schlafen, schlafen rauscht der Wald. Schlafen, schlafen . . .

Heimatsegen.
Von Oswald Adam.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1921. Piepersche Buchdruckerei, Clausthal 1921, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1921_026.png&oldid=- (Version vom 10.4.2019)