Seite:Harz-Berg-Kalender 1922 017.png

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er setzte hinzu, daß sie die von des Obristen Regiment für Straßenräuber, Hahnenfedern und leichtfertige Schelme gescholten, auch Herzog Friedrich selbst ehrenrührig angegriffen hätten.

     Daraufhin ließ der Obrist harte Briefe an die Stadt abgehen. Er drohte mit Rächung des angetanen Schimpfes, wollte sich aber zuletzt mit 15000 Talern abfinden lassen. Burgemeister und Rat entschuldigten sich aufs beste: sie hätten nichts davon gewußt, eine peinliche Untersuchung sei angestellt, aber nichts ausfindig gemacht; sie bäten demütig um Erlaß der unerschwinglichen Geldesmenge. Allein Herzog Friedrich bestand auf seiner Forderung. Da schickten ihm Burgemeister und Rat zwei Stückfaß Wein und einen Becher mit zweihundert Goldgulden und waren heilfroh, als damit die Sache beigelegt war.

     Überall streiften Kriegsleute umher. Die Dörfer wurden ausgeplündert, Hattorf niedergebrannt. Da packten die Bauern, auch Osteröder, ihre Habseligkeiten auf Karren und zogen mit Pferden und Kühen auf den Harz hinauf. Dort glaubten sie in Sicherheit zu sein.


     Der junge Bastel hatte eine gute Heilhaut. Zwei Tage lag er herum, am dritten fuhr er wieder Holz, und am vierten, einem Sonntag, ging er nach Buntenbock. Im weißen Fuhrmannskittel, gelber Lederhose, gelben Gamaschen, auf dem Kopf die breite Mütze mit Schirm, sah er gar stattlich aus. Er ging am Schlagbaum vorbei über die Wiesen. Das Gras stand hoch, denn die Ernte war nahe.

     Dieser Duft, der aus dem Grase aufstieg, und diese Blumen und Blüten! Und da drüben die stillen Teiche, dahinter die unendlichen Tannenwälder, darüber der lange, lange Bruchberg, und dann in bläulichem Duft die breite runde Kuppe des Brockens!

     Ob er diese Herrlichkeit sah und empfand? Bewußt auf keinen Fall. Als er an einer Wiese seines Vaters kam, rechnete er aus, wie viele Säume Heu jie diejes Jahr bringen könnte. Seine Gäule waren sein Leben. Zwar doch noch etwas anderes, über das er sich nur nicht klar war, wie er denn überhaupt nur über weniges klar war.

     Ja, er ging auf die Freit, oder, wie sie in Clausthal sagten, er stiefelte nach des alten Kurd strammem Mädel, der Anna. Kurd war ein Fuhrherr wie sein Vater, nur daß die Löwes Oberdeutsche und Kurd wie alle Buntenböcker Plattdeutsche waren. Wenn auch Buntenbock nur eine halbe Stunde von Clausthal liegt, so konnten sich die beiden doch immer am besten verständigen, wenn sie eine Art Messingsch sprachen. Es war das Deutsch, das sie beim Schulmeister lernten. Ehen herüber und hinüber waren selten, kamen aber doch mal vor. Die Buntenböcker unterschieden sich von dem fränkischen Bergmannsvolke in Sprache, Tracht und Gewohnheiten.

     Bastel hatte ein Auge auf die Anna geworfen.

     Eines Tages war sie zu seiner Mutter gekommen, die Kiepe auf dem Rücken, den Beiderwandsrock bis über die Knie geschürzt, ein buntes Tuch um das volle blonde Haar. Sie hatte die Kiepe auf die Bank gesetzt. Ihr Vater hatte sie mit einer Bestellung geschickt. Die Mutter war über die dralle hübsche Person in einer Verwunderung. Sie konnte sich an ihrem rosigen Gesicht nicht satt sehen und an ihren drolligen Platt nicht satt hören. Im Nu gewann sie das Mädel lieb, und als ihr Sunge hinzukam, da sagte sie lachend:

     „Bastel, wenn ich Du wäre, gäb ich der Anna ’nen Kuß.“

     Denken war Bastets schwache Seite, aber das schien ihm einleuchtend. Das Mädel wollte entspringen. Es rannte die Treppe hinauf. Er hinterher, und in einer Ecke der elterlichen Kammer faßte er sie. Nur so obenhin berührte er mit seinen Lippen ihre volle Wange, dann brannte ihm seine. Die verstand’s: Die Hand konnte mal wirtschaften. Seitdem stiefelte er nach ihr.

     Er ging über die Wiesen auf einem schmalen Pfad. Ueber ihm wirbelten die Lerchen, um ihn summten die Bienen, brummelten die Hummeln, und aus dem Grase stieg ein kräftiger frischer Duft. Am Hasenbach entlang trat er in den Tannenwald. Zuerst standen da in ihren hellen, leuchtenden Spitzen lauter junge Bäumchen, dann ragten die rauhen narbigen Stämme der Fichten wie Säulen empor. Die maß er mit geübtem Auge, ob sie bald fällig wären. Er war ja ein Holzfuhrmann.

     Ein Reh äugte ihn an, da klatschte er in die Hände und lachte, wie es über einen tiefen Graben setzte, dann lichtete sich der Wald, und die grauen Schindeldächer von Buntenbock lugten aus dem Grün der Wiesen vor dem dunklen Hintergrund des Klausberges hervor.

     Es war Sonntag, aber doch regte es sich um die Häuschen wie in einem aufgewühlten Ameisenhaufen. Männer, Frauen und Kinder, alles faßte an. Sie zogen und schoben an den Heu- und Höhlenwagen, an den Holzkarren und Schlitten, ja hie und da an dem Gehäuse einer Kalesche. Die Deichseln wurden in einander geschoben, eine fest in sich geschlossene Wagenburg. An Lücken, die nicht mit Fahrzeugen verschränkt werden konnten, wurden Wall und Graben aufgeworfen. Nur wo die Innerste den Grund zu Morast machte, da wurde nicht geschanzt. Das Wässerchen, das dort unter Vater Kurds Kuhstall seine Wiege hatte, sollte sich selbst schützen.