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Bruchbergwinter.
Von Karl Reinecke-Altenau.


     Du bist ewig schön, mein Bruchberg!

     Du bist schön, wenn des Lenzwindes brausende Ballade durch deine Wildnis harft; wenn die Schneewässer in tausend schwäbenden Bächlein in frühlingsgrüne Täler hinabrieseln und früh, ehe zart hinter dem Brocken die erste Morgenröte den Himmel lichtet, der Auerhahn seinen Liebesruf über das dampfende Hochmoor schickt und irgendwo die Zippe ihr schwermütiges Lenzlied flötet.

     Schön bist du, wenn über deinem grünen Wäldermeer flimmernde Sommerluft zittert, ein würziger Brodem von Harzduft und Moosgeruch die Brust weitet und blau, endlos blau, die Fernen zu deinen Füßen liegen. Dann klingen Finkenlieder durch deine Fichtenhallen, und draußen am Moor wo rosenfarbene Knabenkräuter im quellenden Torfmoose blühen, singt unverdrossen der Baumzieper seine armselige Weise, schmaust der Dompfaff blauschwarze Heidelbeeren. In heimlichen Gründen hütet das Alttier sein Kalb. Und über weiten Waldblößen, auf denen zwischen Rispen und Borstengras der rote Fingerhut leuchtet, schwebt in gelassenem Flug der Bussard. Wie liebe ich deine blaugrünen Sommertage!

     Und schön bist du, wenn brauende Herbstnebel dich mit feuchtem Dampf umhüllen und deine triefenden Fichten und Felsen riesenhaft in graue Wolken wachsen; wenn die Quitsche sich herbstlich färbt und in kalten, reiffrostigen Oktobernächten des Rothirsches Brunftschrei die Waldstille durchhallt.

     Aber am schönsten bist du doch, wenn dich des Winters Königsmantel überdeckt und glitzernder Rauhreif deine Wälder eingesponnen hat! Dann, Bruchberg bist du zu einem Gottestempel geworden, zu einem Märchenland voller Schönheit ohnegleichen und an verschwiegenen Wundern reich. Wer dich zur Winterszeit sah, über deine weiten Schneefelder fuhr, oder deine schweigenden Fichtengänge durchquerte, ist ein Stündlein froh der Welt entrückt gewesen und hat seine Seele reingebadet in heiliger Andacht.

     Wie groß und herrlich ist die Stille, die in der Wintereinsamkeit deiner verschneiten Höhe wohnt! Alles Laute ist dir fremd. Du bist schweigsam, wie alles Ewige stille ist. Dein Antlitz ist voll Ernst und voll herber Melancholie. Das Dunkel deiner Wälder kann sich lastend auf die Seele legen. Aber der Winter breitet über das Düster eine lichte Verklärung. Das bang Bedrückende weicht, deine Ruhe wird Wohltat, erhebender Gottesfriede.

     Wie köstlich fern liegt das Leben!

     Tief unten verdämmert die Welt in silbernem Duft. Was in der Tiefe den lärmenden Alltag bewegt, nichts von allem dringt hinauf in den Frieden dieser weißen Einsamkeit, in der der Herrgott wohnt!

     Die Fichten schlafen. Sie schlafen wie alle die nunteren Wässerlein, die im Sommer jauchzende Berglieder ins Tal fangen. – Ihr Schlaf ist tief und fest. Sie beugen sich unter schwerer Bürde und stehen da wie betende Büßer, die in stummer Ergebung auf Erlösung harren. Wie nickende Träumer, die von Lenz und Drosselflöten träumen.

     Kein Laut in der Kunde, rings Schweigen, Schlaf, Schlaf.

     Manchmal nur rüttelt ein Windstoß an den Wipfeln. Dann rauschts über dem Wald wie klagendes Sehnen: Wann kommst du wieder schöner Frühling? ... Es verklingt mit einem leidvollen Mollakkord, leise, schmerzlich, und wieder schläft der Wald.

     Sein Schlafgewand ist weiß und rein. Jedes Fichtennädelchen, jedes Rindenschüppchen ist mit flimmernden Kristallen umsponnen. Sie lichten des Waldes Ernst freundlich auf. Aber nirgends ist eine aufdringliche Helle. Wie in einem feierlichen Dom ists, der aus Silber und Marmor aufgebaut wurde und in dessen Inneres ein mildgedämpftes Licht durch zarte grünviolette Scheiben hereinfließt.

     Bleibe stehen, o Wanderer, und genieße die Weihestimmung des winterlichen Bruchbergwaldes! Laß die Gottesruhe auf dich wirken und spüre,