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eigentlich einen recht wertvollen Familienschatz besitzt. Und den werden auch Eure Kinder und Kindeskinder in Ehren halten. Und wenn sie darin einstmals lesen, werden sie in Gedanken Euer Leben noch einmal wiederleben und Euch dankbar die Hände ins Jenseits hinüberreichen.

     Im vorigen Winter machte ich die Bekanntichaft eines jungen Menschen, dessen Vorfahren bis auf seinem Vater im Oberharz ansässig waren. Er ist kein Harzer von Geburt, aber eben dem Blute und der Gesinnung nach. Der brachte mir ein treu behütetes Erbstück ins Haus – einen ganzen Stoß alter Harzkalender, denen man es ansah, daß eine lange Reihe von Jahren über sie hinweggegangen sind. Ich habe sie mit vieler Freude und großem Interesse durchgeblättert und sie ihm mit herzlichem Dank zurückgegeben. Aber eins der vergilbten, verstaubten und zergriffenen Heftlein liegt noch vor mir. Der einstmalige Besitzer muß ein großer Wetterkundiger gewesen sein. Er hat das ganze Jahr hindurch – auch nicht ein Tag ist vergessen! – das Wetter vermerkt und hier und da seine Mutmaßungen hinzugefügt. Da lese ich von tiefem Schnee, strenger Kälte, von Tauwetter und Regen und Wind aus West und Ost und Nord und SSW., von Schneeschauern mit Sturm usw. usw. Mit unendlicher Sorgfalt ist das alles notiert. Und da steht auch mal: „ein schöner Frühlingstag!“ Ich sehe ordentlich die Augen des alten Landsmanns leuchten, wie er das nach langem Winter niederschrieb: „ein schöner Frühlingsteg!“ Ist es Dir nicht auch, als ob Du aus diesen Worten ein frohes Aufatmen heraushörst? Oder da steht: „ein herrlicher, lieblicher Mai, mir unvergeslich!“ So gehen die Bemerkungen fort, vom Sommer zum Herbst und wieder in den Winter hinein. Ob der Schreiber seinen Kindeskindern einmal einen ganz authentischen hundertjährigen Kalender hinterlassen wollte? – Es mag ja auch eine besondere Liebhaberei gewesen sein. Aber die Kalendervermerkungen beziehen sich nicht nur auf das Wetter. Da lese ich an einer Stelle: „Am 26ten März kam das Rotschwenzchen hier an!“ Sieh, ein Tierfreund muß er auch gewesen sein! Neben einem anderen Tag steht: Carl reist nach Hamburg zurück. Ist es ein schwerer Abschied gewesen, der hier im Kalender bermerkt steht? Und dann so kleine Alltags-Bemerkungen: Uhr zurück, oder: keine Kiste, oder: ein Brief nach Nienburg. Und so geht’s weiter. Manches kann ich nicht mehr lesen, manches ist abgekürzt, dies und das wieder gestrichen. – Aber was steht denn dort? Weiter nichts als: Nahum Kap. 1, 7–9. Ich schlage in der Bibel nach und lese: Der Herr ist gütig und eine Feste zur Zeit der Not; und kennet die, so auf ihn trauen. Wenn die Flut überläuft, so macht er es mit derselben ein Ende; aber keine Feinde verfolgt er mit Finsternis. Was gedenfet ihr wider den Herrn? Er wird es doch am Ende machen; es wird das Unglück nicht zweimal kommmen ... Hat sich der Kalenderbesitzer Trost aus diesem Wort geholt in schweren Herzensnöten? Ich glaube es fast, daß er leidvolle Bürde zu tragen gehabt hat. Denn an einer andern Stelle schrieb er nieder wie einen schweren Seufzer: Ach! es macht so bange Stunden, andre hülflos Leiden sehn! – Da hat er ein Blatt seiner Seele aufgeschlagen. Wieviel kann man daraus lesen! – Und überhaupt, wenn ich das Kalenderbüchlein durchblättere, steht vor meinen Augen ein prächtiger Mann, dem unterm einfachen Bergmannskittel ein braves tiefgründiges Harzerherz schlägt. Wenn er noch lebte, er wäre mein Freund geworden. So aber breche ich ihm einen grünen Fichtenzweig und lege ihn ihm in Gedanken auf sein Grab, von dem ich nicht weiß, wo es liegt. Einen Menschen, der sich am wiedergekommenen Rotschwänzchen freut, der seine Freude hat an einem schönen Frühlingstag und an einem lieblichen Mai, einen solchen Menschen muß man liebgewinnen!

     Warum ich Euch dies erzähle? Ich wollte Euch nur vor Augen führen, wieviel Reichtümer und Freude man aus alten Kalendern schöpfen kann, die zu Familienbüchern wurden. Und deshalb sage ich es noch einmal: Hebt Eure Kalender auf für Euer Alter und für die, die nach Euch kommen. Und benutzt die Kalender als Eure Familienchronik.




Winter in den Bergen.


     Tief das Land in weißem Schweigen,
Krähen krächzen ab und zu,
Hinter schneeverhangenen Zweigen
Geht ein müdes Licht zur Ruh.

     Leis und leiser wird die Stunde,
Dunkel spinnt das Tal entlang
Und verschlingt in weiter Runde
Dorf und Bach und Wiesenhang.

     Nirgends eines Stern’s Gefunkel,
Ringsum tiefe, tote Nacht,
Nur ein Hüttenlicht im Dunkel
Tröstet, daß noch leben wacht.

Karl Bienenstein.