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Die Oberharzer Bergmannshäuser.


     Wenn wir im Nachfolgenden den Ausführungen des verstorbenen Hamburger Musseumleiters, dem norddeutschen Avenarius: Alfred Lichtvarck Raum geben, so aus folgendem Grunde: Mit den Augen des deutschen Künstlers und Kulturkenners hat Lichtvarck die Reize unserer bodenständigen Oberharzer Bauweise ins Sonnenlicht gerückt, ehe sie ganz zu verfallen drohten. Die letzten Jahre haben in erfreulicher Weise ein Wiederaufleben der alten Bauweisen gebracht; mögen nun diese Ausführungen unseren Oberharzern zeigen, was sie mit der ererbten Bauweise preisgeben oder wiedergewinnen können!

Gl.


     Es ist ein schöner Fleck Erde, der Oberharz, dessen Schönheit nicht den Ruhm hat, den sie verdient.

     Wer von Goslar aus das meilenweit sich ausdehnende Waldgebiet hinaufsteigt, kommt eine halbe Stunde vor Zellerfeld auf einen breiten Fußweg, der, fest und wohlgepflegt wie ein Stadtpark, vom Spiegeltal aus durch den Fichtenwald bergan führt. Auch der Wald selbst hat etwas parkartiges. Der Wind streicht wegesuchend durch den schüchtern über die Steinhalden verteilten Baumstand, und das Sonnenlicht dringt ungehindert überall bis zum Boden, ivo es im dichten Unterholz die silbrigen Rückseiten der Himbeerblätter aufleuchten läßt.

     Von der letzten Biegung aus sieht man die Fichtenstämme eine hohe grüne Masse überschneiden, ein paar Schritte, und man tritt wie durch eine Haustür aus dem Walde auf die ungeheure, sanft ansteigende Fläche der Zellerfelder Wiesen.

     In leichter Wendung, der Bewegung der Bodentfläche angeschmiegt, strebt der helle Weg auf die Höhe, Wo die lichte Unendlichkeit des Himmelsraumes sich austut. Ein Kind könnte meinen, der Pfad führe schnurstracks in den Himmel hinein. Luft und Licht spielen um diese Wiesenkuppe anders als in den Tälern oder auf den bewaldeten Bergen. Nicht zweimal habe ich dieselbe Stimmung angetroffen. Bei klarer Luft erscheint der Himmelsraum tiefer als anderswo. Weiße feste aufrechte Wolken, die mit leidenschaftlichen Gebärden nahebei vorüberziehen, haben etwas von persönlichem Dasein. Man möchte sie grüßen. In pathetischer Plastik bauen sich die dunklen Gewitterhimmel auf, wo sich ihr ganzer Aufbau überblicken läßt, und wenn ein durchsonnter Nebel die Riesenkuppe einhüllt, dehnen und strecken sich die Formen der Mäher und Heuwagen in phantastischem Schattenriß.

     Die Farbe aber wechselt auf dem Wiesengelände So oft und so stark, wie auf einer Wasserfläche. Morgens im Tau schimmert es bläulich, mittags dehnt es sich in tiefem Grün, beim Sonnenuntergang erscheint es wie von sattem Orange übergossen.

     Erst von der Bank aus auf der Kuppe sieht man die beiden Städte liegen. Zellerfeld breit gelagert den sanften Abhang hinab, Clausthal jenseits der Senkung, die der Zellbach durchfließt, in langem Straßenzuge den Berg hinaufsteigend. Der Ausblick ist sehr schön. Dicht zusammengedrängt liegen die Häuserreihen mit rotem Ziegel- oder schwarzem Schieferbach, vom dicken Grün der Baumkronen durchsetzt. Ringsumher erstrecken sich die Wiesen über das sanfte Hügelgelände, das in der Ferne von blauen Waldbergen eingeschlossen wird. Nach allen Seiten führen die dunklen Streifen der Alleen über das Wiesengelände, bis sie in der Ferne überall an die Waldberge stoßen.

     Auch diese Landschaft trägt bei jedem anderen Lichte einen anderen Ausdruck. Bald ist sie tonig zu einer ruhigen Einheit gestimmt, bald treten die Wiesenflächen, in leuchtendem Grün gegen ein starkes Blau der Waldberge heraus, während die Dächer mit scharfem Rot aus den Baummassen lugen. Ostwind und Westwind rufen hier so mächtige Gegensätze der Stimmung hervor, wie nur immer an der Nordseeküste: unter dem Westwinde ist alles tonig und weich, der Ostwind bringt alle Farben stark und leuchtend heraus, aber ohne Härte.

     Als ich den Weg zur Kuppe das erste Mal hinanstieg, war ich gespannt, ob in den beiden Bergstädten, den alten Kulturzentren der Umgebung, noch

ein Nest der alteinheimischen Bauweise

vorhanden wäre, und wie sie sich zu dem Charakter dieser Landschaft verhalten möchte.

     Die Kirche in Zellerfeid ragte mit einem schlichten monumentalen Kupferdach über Dächer und Baumwipfel empor, und ihr Dachreiter erhob ich darüber in so zierlicher Silhouette, wie sie sich bei Schieferdächern überhaupt nicht erreichen läßt.

     Älter als die Steinkirche von Zellerfeld ist die von Clausthal (erbaut 1624), in demselben Stil errichtet wie die Wohnhäuser. Man sieht von außen nur die graugrün gestrichene Bretterverschalung unter dem grauen Schieferdach. Hohe Fenster in weißgestrichenen Rahmen machen die Fläche lebendig, Dachreiter und Turm, dicht hintereinander – der Turm ist etwas jünger als die Kirche –, krönen das Gebäude mit ihren kräftiget Umriß.

     Was der Anblik der roten und schwärzlichen Dächer in den grünen Baumkuppen aus der Ferne versprach, hält die Behandlung der Häuserwände; in der Tat liegen in Clausthal und Zellerfeld die Daten einer charakteristischen mit reichen Mitteln ausgestatteten bürgerlichen Baukunst vor, die sich mit sehr feiner Empfindung dem Charakter der Landschaft einfügt.

     Vieles ist allerdings schon verschwunden und kann nur noch aus dem Rückschluß, aus dem Zustande der Hinterhäuser und der Architekturvertreter einzelner Höfe als ehemals im Straßenbau vorhanden erkannt werden.

     Das kommende Geschlecht wird, wenn nicht Einhalt geschieht, keine Ahnung mehr haben, wie schön die Städte einmal gewesen sind.

     Der heutige Zustand ist nicht so alt, wie es scheinen mag, denn Ziegeldach und Schieferdach sind erst durch den Einfluß der Versicherungsgesellschaften, also seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, an die Stelle des früher hier allgemein verbreitet gewesenen Schindeldachs getreten. Auch die regelmäßige, auf das Vorbild des italienischen Palastes zurückgehende Verteilung gleich großer einzelner Fenster ist wohl kaum älter als ein Jahrhundert. In der Zellerfelder Apotheke, die aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts stammt, sind die Fenster noch zu breiten Gruppen zusammengeschlossen, und an der Nordseite steht nicht weit davon noch ein Haus, dessen Fensteranlage noch den alten Typus vertritt, der nicht auf die äußere Regelmäßigkeit der Fassade zurückgeht, sondern auf die angemessene Beleuchtung der Innenräume. Breite nordische Fenster,