Seite:Harz-Berg-Kalender 1927 056.png

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     Nachdem er acht Tage nichts getan, als laut auf den Ritter geschimpft und leise an allen Eisenstangen gerüttelt, ward ihm diese einfache Beschäftigung doch zu langweilig. Er betrachtete seinen gröbsten Borstenpinsel und sprach: „Will mich der Herr von Haltenberg so gröblich zur Arheit zwingen, so soll ihm auch nur mit diesem groben Pinsel gedient sein. Wie ein freier Mann malen kann, das habe ich ihm gezeigt; jetzt soll er einmal sehen, wie man in Banden malt!“

     Und nun strich er mit dem Borstenpinsel sämtliche noch ausstehende Nothelfer hurtig und geschwind auf die Tafeln: Sankt Erasmus, Georg, Aegidius, Christoph, Leonhard und zuletzt auch die heilige Katharina. Sie waren gezeichnet wie Lebkuchenmänner und koloriert wie Bleisoldaten. Darauf schickte er die ganze Gesellschaft dem Ritter mit dem Bemerken, hier erhalte der gnädige Herr seine Bilder, nun möge er ihm auch seine Freiheit wiedergeben.

     Allein der Torwart brachte die Kunstwerke umgehend zurück mit der Antwort, wenn es dem Herrn Maler etwa an Spiritus und Bimsstein fehlte, um die Tafel wieder abzuwaschen, dann solle ein reitender Bote sofort genügenden Vorrat aus der Stadt holen.

     In hellem Zorn rücke Konrad die Staffelei ans Fenster, um die bunten Puppen der Reihe nach darauf zu stellen und noch einmal im besten Lichte zu betrachten und bei ihrem Anblick seinen Ärger hinweg zu lachen. Er meinte, so ganz wertlos sei diese Arbeit doch nicht, denn er habe da die faustfertigen Heiligenmaler recht gelungen travestiert. Nur schien ihm noch hier und dort ein besonders charaktervoller Stümperzug zu fehlen, und so griff er zum Pinsel und setzte immer drolligere Drucker auf die tollen Karikaturen.

     Plötzlich ward es ihm aber doch etwas unheimlich zu Mute. Beging er nicht eine Sünde? Zwar wollte er zunächst des Ritters spotten, aber verspottete er nicht zugleich auch die Heiligen? Ein Meister aus der alten Schule hätte dergleichen gewiß nicht getan. Er hätte dem groben Ritter vielleicht noch viel gröber gedient; aber die Heiligen hätte er um Gottes willen so schön gemalt, als nur immer möglich. „Und wenn mir nun die Nothelfer wirklich zürnten? Sie haben den Ritter aus dem Kerker der Türken befreit; können sie mich nicht ebensogut im Kerker des Ritters auf ewig stecken lassen?“

     Bei diesem Selbstgespräche blickte er auf. Und wie erstaunte er! Gegenüber der Fensternische, wo er vor der Staffelei saß, hing ein Spiegel, und in dem Spiegel erschien mit einem Male ganz hell und klar das leibhaftige Bild der heiligen Katharina, nicht jener Katharina, die er anfangs gemalt und nachher wieder abgekratzt, sondern der anderen, schöneren, die er vergebers hatte malen wollen.

     Eine Vision! Erschien ihm die Heilige strafend oder helfend? Im ersten Augenblick glaubte der erschrockene Maler wirklich, es sei eine überirdische Erscheinung. Aber das liebliche Mädchengesicht war gar zu irdisch lebensfrisch und Konrad Lenz, kein Maler mehr aus der alten Schule, sondern das humanistisch aufgeklärte Kind einer neuen Zeit. Darum sammelte er sich rasch, hielt sich ganz stille und malte mechanisch fort, indes er von unten herauf nach dem Spiegel schaute.

     Und blitzschnell überlegte er: nach dem Gesetz der Perspetiive mußte das Original des Spiegelbildes ganz nahe hinter seinem Rücken, draußen vor dem offenen Fenster stehen, seine Arbeit belauschend. Schon vorgestern, da er vom Mittagsschlaf erwachte, war es ihm, als sei dieselbe Gestalt durch den Garten vom Fenster vorbeigehuscht; doch weil er schlummernd eben von der schönen Unbekannten geträumt hatte, hielt er damals die fliehende Erscheinung für das wache Ausklingen seines Traumes.

     Was war nun zu tun? Kehrte er sich um, dann würde sie sicher wieder davonlaufen. Für einen Gefangenen gelten die gewöhnlichen Regeln des Verkehrs mit Damen nicht. Also sprang er mit einem wahren Katzensprung vom Stuhle, ergriff in halber Wendung durchs Gitter die rechte Hand des auf die Fensterbrüstung lauschend gelehnten Mädchens und hielt sie fest.

     Die Jungfrau, zum Tode erschreckt, schrie laut auf und rang, sich frei zu machen; allein es half nichis; im Nu hatte der Maler auch ihre linke gepackt und hielt seine Gefangene nun mit beiden Händen. Um Hilfe zu rufen wagte sie nicht; denn sie war ja selber auf verbotenen Wegen herbeigeschlichen.

     Konrad Lenz sprach mit größter Artigkeit. „Verzeiht, edles Fräulein, daß ich Euch nicht wieder loslasse, bevor wir ein wenig geplaudert haben. Seit Wochen durfte ich mit keiner Menschenseele sprechen, und da fühlte ich jetzt ein entsetzliches Bedürfnis nach mündlicher Mitteilung, zumal aus so schönem Munde.“

     Das Mädchen aber klagte leise über seine Neugier, die sie in diese Falle gebracht. Sie habe in der Burg gehört, daß hier wieder ein Goldmacher eingesperrt sei, und da hätte sie gar zu gern einmal erspähen mögen, wie Gold gemacht werde. Nun sehe sie aber, daß er gar kein Alchimist sei, sondern der freundliche Tünchermeister, welcher ihnen neulich in der Stadt den Weg zum Katharinenkloster gewiesen.