Seite:Harz-Berg-Kalender 1927 057.png

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     Bei dem Worte „Tünchermeister“ fühlte sich Lenz wie von einer Natter gestochen, daß er die linke Hand des Mädchens unwillkürlich fahren ließ, aber die rechte hielt er dafür um so fester.

     „Ich bin kein Tüncher,“ rief er stolz, „ich bin ein Maler! ein Schüler des trefflichen Christoph Amberger, dieser aber war ein Schüler des unübertrefflichen Hans Holbein, und so stammt meine Kunst in gerader Linie und im zweiten Glied vom größten deutschen Meister ab.“

     „Die Enkel sehen manchmal dem Großvater nicht besonders ähnlich,“ sagte lächelnd das Mädchen und deutete mit der Linken auf die Tafel, an welcher Lorenz soeben gemalt hatte.

     Entsetzt blickte dieser auf die grobe Sudelei, allerdings eine verdächtige Urkunde seiner Meisterschaft, und stieß mit dem Fuße wider das Gestell, daß das Bild herunterfiel und glücklicherweise – wie Butterbrote pflegen – mit der fetten Seite auf den Boden.

     „Nur aus Wut habe ich diese Spottbilder gemacht, weil man mich hier durch den Kerker zum Malen zwingen will. Der Burgherr verwahrt ganz andere Werke meines Pinsels, die werden Euch zeigen, daß ich kein Tüncher bin. Und glaubt Ihr denn, daß man mich wie einen Goldmacher einsperrte, wenn ich nur die Fratze machen könnte, welche hier am Boden liegt?“

     Der letzte Grund leuchtete dem klugen Mädchen ein. Aber der Maler hörte kaum auf ihre Antwort. Er war so lange nicht zu Wort gekommen, er mußte den Augenblick festhalten und sich gründlich aussprechen. Aufs anmutigste beschuldigte er seine schöne Gefangene, daß sie schuld sei an seiner eigenen Gefangenschaft, und erzählte, wie ihr Anblick beim Gange zum Katharinenkloster seine Phantasie zu so hellen Flammen entzündet, daß er sie durchaus habe malen müssen, und zwar als heilige Katharina; allen so ganz frei aus dem Kopf sei das nun und nimmer gegangen, und dadurch seien die bestellten Nothelfer derart in Rückstand gekommen, daß ihr der Herr von Haltenberg zuletzt hier zur Zwangsarbeit eingesperrt habe. Nach Künstlerart wußte aber der Erzähler die ganze Geschichte so geschickt zu gruppieren und mit hoch aufgesetzten Lichtern zu steigern, daß seine Schwärmerei für die Unbekannte zuletzt als die alleinige Quelle alles Unheiles erschien.

     Beim Beginn der Erzählung hielt er ihre Hand noch fest, doch im Verlauf konnte er sie ohne Gefahr loslassen; das Mädchen lief nicht mehr davon, sondern hörte gespannt bis zum Ende, und als er ihr dann die Hand noch einmal aus bloßer Freundschaft drücken wollte, zog sie die ihrige nur ein klein wenig zurück.

     Sie schien recht bekümmert über den armen Mann, den sie so ganz unwissend in Not gebracht. Dem glückseligen Konrad ging aber jetzt eine helle Fackel auf: die Unbekannte konnte niemand anders sein, als des Haltenbergers wunderschöne Tochter, die der Tyrann, gleich grausam gegen das Naturschöne wie gegen das Kunstschöne, vor aller Welt verborgen hielt. Darum bat er, sie möge doch in ihren Vater dringen, daß er die Türen dieses Kerkers öffne.

     „Das kann ich nicht,“ erwiderte sie, „und das darf mein Vater nicht. Er mag Euch hart behandeln; allein, er tut eben nur, was ihm die Pflicht befiehlt.“

     Da haben wir ganz das Kind der alten Schule! dachte der Maler. Einen armen Maler martert man zu Tod, nur um den Heiligen auf Tag und Stunde Wort zu halten.

     Übrigens fragte er sich, ob es jetzt nicht nützlicher sei, wenn er noch etliche Wochen eingesperrt bliebe? Vielleicht bewog er das Fräulein, öfter in den stillen Garten zu kommen; sie sah ja schon recht teilnehmend aus. Wurde er in die Stadt geschickt, dann erblickte er sie niemals wieder, und arbeitete er frei in der Burg, dann versiegte wohl stracks der erste Quell der Zuneigung, welchen er bei dem schönen Kinde erschlossen – das Mitleid.

     Darum spann er rasch einen entsprechenden Plan.

     Er hielt ihr vor, daß er nur wieder frei werden könne, wenn er die Bilder pünktlich und schön vollende. In der tötenden Einsamkeit, ohne igendeine menschliche Ansprache, sei ihm dies aber ganz unmöglich. Zudem könne er die verdorbene heilige Katharina nie wieder herstellen, wenn sie nicht ihre schönen Züge zum Vorbild leihe. Sie brauche ja nur ein paarmal auf ein Viertelstündchen wiederzukommen; plaudernd und auf den Raub porträtiere man am allerbesten. Dazwischen fragte er, ob sie nicht etwa auch Katharina heiße? – Allein sie hieß Susanne.

     Anfangs sträubte sie sich gegen den Vorschlag, ging dann aber doch darauf ein – fast etwas geschwind, wie es hinterher dem Maler dünkte. Ihr Vater schien sie in der Einsamkeit erzogen zu haben.

     Wie hatte die Erscheinung dieses Naturkindes unseren Maler wieder von Grund aus verändert! Er freute sich seines Gefängnisses; denn sie wollte morgen schon wieder ins Gärtchen kommen. Und male wollte er jetzt die rückständigen Heiligen um der schönen Susanne willen so begeistert und so pflichtgetreu, wie es nur je ein alter Meister um Gottes willen getan!