Seite:Harz-Berg-Kalender 1929 052.png

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solle sich nur wieder niederlegen und einschlafen, dann würde sich das weitere schon finden. Der Fremde kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand und fragte:

     „Na, wie gefällt es dir hier?“

     „O,“ sagte der Bergmann, „wem sollte es hier nicht gefallen! Aber meine armen Kinder und meine gute Frau! Bitte, sagt mir, wie bin ich eigentlich hierher gekommen, und was habt Ihr mit mir vor?“

     „Ich will dich glücklich machen,“ antwortete der Fremde, „wenn du mir vertraust. Jetzt will ich dir aber vor allem einmal zeigen, daß ich dich schon längst kenne; daß mir deine Vergangenheit bekannt ist, und daß ich deine Zukunft weiß. Tritt vor diesen Spiegel, der dir erzählen wird, wie es dir ergangen ist.“

     Als der Bergmann vor dem Spiegel stand, sah er nicht nur, wie er seine Braut am Hochzeitstage in die Kirche führte, sondern auch noch manches andere, was er längst vergessen hatte. Er war darüber so verwundert, daß er kein Wort sprechen konnte.

     Jetzt gelangte er vor den zweiten Spiegel. Dieser zeigte ihm, wie daheim Frau und Kinder wehklagten, weil sie dachten, er sei tot. Das machte den Bergmann weicherzig, und die Tränen rannen ihm über die Wangen.

     Nun trat er vor den dritten Spiegel. In diesem merkte er, wie er mit seiner Familie in großem Wohlstand lebt; er gewahrte aber auch, wie er wieder in Armut zurücksinkt.

     „Sieh,“ sagte der Fremde, „du wirst zu großem Reichtum gelangen und nicht wieder arm werden, wenn du mir folgen willst. Merke wohl auf. Wenn du nach Hause kommst, so grabe unter dem Baume, der in deinem Garten steht, ein Loch, so tief, wie du groß bist; das grabe bei Nacht zwischen elf und zwölf Uhr. Dabei wirst du eine gebe Erde finden. Von dieser nimm dir jedesmal zwei Kugeln, so groß, daß du sie mit beiden Händen umspannen kannst; trage sie nach Goslar und verkaufe sie an den Goldschmied. Du darfst aber nicht mehr als wöchentlich zweimal zwei Kugeln machen und verkaufen. Nimmst du und verkaufst du mehr, dann ist es dein Unglück. Außerdem will ich dir noch etwas geben, das dich schnell reich macht. Hier habe ich eine Erdart und mehrere Flüssigkeiten. Wenn ich von dieser nur ein paar Tropfen auf die Erde gieße und drehe dann in der Hand Kügelchen daraus, so entstehen die schönsten Ebelsteine.“ Der Fremde probierte es und gab sie auf diese Weise hergestellten leuchtenden Edelsteine bem Bergmann zum Andenken mit den Worten:

     „Wenn du nach Goslar kommst, so erhältst da für diese Ebelsteine viel Geld.“

     Der Bergmann bedankte sich aufs herzlichste, wickelte die Edelsteine sorgfältig ein und steckte sie in die Tasche.

     „Nun,“ sprach der Fremde, „komm und laß uns noch ein wenig spazieren gehen, du mußt doch auch sehen, wie es in Venedig ist.“

     Sie wanderten miteinander durch die Stadt. Am späten Abend kamen beide nach Hause. Der Fremde wünschte dem Bergmann gute Nacht, die Diener waren beim Ausziehen wieder behilflich, der Gast mußte sich in das schöne Bett legen und schlief vor übergroßer Müdigkeit bald ein. Als er am anderen Morgen aufwachte, lag er wieder unter dem Baume am Teiche. Anfänglich meinte er, es sei alles nur ein Traum gewesen. Doch nein, es war Wirklichkeit, denn als er schnell in die Tasche griff, da fand er die beiden Edelsteine. Nun raffte er sich auf. Er ging nach Goslar, verkaufte die Steine und empfing dafür schweres Geld. Mit diesem eilte er nach Hause.

     Als er in seine Haustür trat, stürzten ihm Frau und Kinder freudig entgegen und umarmten ihn, so daß er erst garnicht zu Worte kommen konnte. Dann ging es ans Fragen, vor allem: ob er auch Geld mitgebracht habe, denn sie waren alle recht hungrig. Er legte Geld auf den Tisch. Nun wurde gleich fortgeschickt, Fleisch und Brot gekauft, und nach langer Zeit konnten sich Frau und Kinder wieder einmal satt essen. Das war eine Freude und ein Jubel, wie nie zuvor!

     Zwischen elf und zwörf Uhr nachts ging der Bergmann in den Garten; er grub unter dem Baume ein großes Loch. Da fand er alles so, wie es der Venezianer vorausgesagt hatte; er erblickte eine gelbe Erde; von dieser drückte er zwei Kugeln, so groß, daß er sie mit beiden Händen umspannen konnte. Des andern Tages trug er diese Kugeln nach Goslar und verkaufte sie an den Goldschmied.

     Lange Jahre war der Bergmann genügsam und war ein grundreicher Mann. Eines Tages fuhr ihm aber der Geizteufel in den Kopf; er verfertigte, trotz des Verbotes, in einer Woche zum drittenmal Kugeln und brachte sie nach Goslar. Als er mit voller Tasche zurückkam, ward er müde; er legte sich wieder unter den Baum und schlief ein. Da erschien ihm der Fremde aus Venedig, weckte ihn auf und sprach:

     „Du hast mein Gebot übertreten. Du solltest wöchentlich nur zweimal Kugeln anfertigen und verkaufen; jetzt wirst du wieder arm werden, wie du es früher gewesen bist. Das ist die Strafe für deine Habgier.“

     Nach diesen Worten verschwand der Fremde.

     Wie dieser gesagt, und wie es der Bergmann in dem Spiegel gesehen hatte, so ist es auch gekommen: der reiche Mann sank wieder in seine frühere Armut zurück und mußte sich von neuem um das tägliche Brot abmühen.